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«Beutetürke» hinterlässt Spuren im alten Taufregister

Von Anne Passow 12.08.2008, 19:05

Wörbzig/MZ. - Auf seiner Internetsuche nach interessanten Themen stieß der türkische Journalist Ahmet Atak auf einen Zeitungsartikel in der Köthener Ausgabe der Mitteldeutschen Zeitung vom 30. Juli, der diesen Fall erwähnte.

Religion des Herrschers

"Ich fand es interessant, dass es hier zu dieser Zeit Türken gab und wollte wissen, was dahinter steckt", schildert Atak. Der Redakteur der Europaausgabe der türkischen Zeitung Hürriyet und sein Kollege Isa Deveceken, der für "Euro D", den europäischen Fernsehkanal der Zeitung, arbeitet, machten sich von ihrem Büro bei Frankfurt am Main auf nach Wörbzig. Hier waren sie mit Pfarrer Tobias Wessel und Heimatforscher Matthias Pfeifer verabredet.

"Können Sie vorlesen, was da steht?", bat Atak den Heimatforscher Pfeifer - und der entzifferte mit einiger Mühe den zweiseitigen Eintrag im Taufregister, welches die Taufen von 1681 bis 1814 in Wörbzig festhält. Von einem "Herrn Friedrich von Wietersheim" ist da die Rede, der "seinen leibeigenen Türken", nachdem dieser "im christlichen Glauben unterrichtet wurde", habe taufen lassen, und ihm den "christlichen Namen Christian Friedrich" gegeben habe.

Der Erbprinz Karl Friedrich von Anhalt-Bernburg persönlich war neben weiteren 15 Personen Taufpate. Das Ganze geschah 1691, am Sonntag nach Ostern.

"Erst wollte ich einen Artikel über diesen Türken schreiben", erzählt Ahmet Atak. "Aber dann habe ich herausgefunden, dass es zu dieser Zeit keine Seltenheit war, dass Türken umgetauft wurden." Zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert seien es rund 600 Türken gewesen, die auf dem heutigen deutschen Boden den christlichen Glauben annahmen. Annehmen mussten, denn nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung im September 1683 konnten sich die Truppen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation behaupten. "Viele Türken wurden als so genannte Beutetürken mitgenommen", so Atak.

"Sie durften als Leibeigene weiterleben, wenn sie die Religion des Herrschers annahmen." Da der umgetaufte Wörbziger Türke kein Einzelfall war, will Atak nun eine Serie über seiner Landsmänner mit einem ähnlichen Schicksal machen. "Bei Hannover sollen zwei osmanische Ritter begraben liegen", hat Atak herausgefunden.

In den Ort verschleppt

Über den Wörbziger Türken, dessen ursprünglicher Name laut Taufbuch "Job" gewesen sein könnte, weiß Atak nur sicher, dass er in Wörbzig getauft wurde. Und so besichtigte er mit seinem Kollegen auch das Taufbecken in der Wörbziger Kirche, welches, laut Pfarrer Wessel, noch aus dem 12. oder 13. Jahrhundert stammt. "Einen Grabstein scheint es nicht zu geben", bedauert Atak, der jedoch vermutet, dass der christliche Türke ein "Beutetürke" war, der wohl auch in dem Ort, in den er verschleppt wurde - also in Wörbzig - starb.

Für Pfarrer Tobias Wessel kam das Interesse der türkischen Journalisten an seinen Registerbüchern überraschend. "Wir geben regelmäßig Auskünfte an Privatpersonen. Die ausländische Presse hatten wir aber noch nicht im Haus", sagt er. Ob sich das ändert? "Das älteste Registerbuch ist eines aus Dohndorf von 1627", verrät Heimatforscher Matthias Pfeifer.

Die Chancen stehen also gar nicht so schlecht, dass die türkischen Redakteure, wenn sie ein wenig blättern, noch ein paar weitere umgetaufte "Beutetürken" in den alten Büchern der Kirchengemeinde Wörbzig finden.