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Bernburg Bernburg: Mit der Kamera auf Goethes Spuren

Von SUSANNE WEIHMANN 24.10.2010, 17:23

BERNBURG/MZ. - Er war etwas, das es wohl heute so nicht mehr gibt: Er war gleichermaßen Dichter, Schriftsteller, Kunstkritiker, Zeichner, Philosoph, Naturwissenschaftler, Jurist und Staatsmann. Er war, kurz gesagt, ein "Universalgenie". Die Rede ist von Johann Wolfgang von Goethe. Die meisten dürften wohl den Dichter Goethe kennen. Doch zumindest Goethe-Kenner wissen auch um seine zeichnerischen Fähigkeiten.

Zu jenen gehört ganz gewiss der Bernburger Wolfgang Damisch, der sich seit rund 20 Jahren mit dem vielseitig talentierten Menschen beschäftigt. In seinem Buch "Goethes Zeichnungen - von mitteldeutschen Landschaften sowie Briefe und Dichtungen aus dieser Zeit" ist der studierte Biologe und zu DDR-Zeiten renommierte Wissenschaftler am Institut für Getreideforschung Bernburg / Hadmersleben den Spuren von Goethes Zeichnungen in Mitteldeutschland gefolgt und hat jene Orte fotografiert.

Goethe sei durch eine "gewisse Lebenskrise" zum Zeichnen gekommen, schreibt Damisch. Der junge Goethe habe sich als 15-Jähriger in ein Mädchen verliebt, doch nach dem ersten Kuss gab es für die beiden kein Wiedersehen. "Indessen war denn doch dieser Pfeil mit seinen Widerhaken aus dem Herzen gerissen", beschrieb der 1749 in Frankfurt / Main geborene Dichter einst selbst seinen inneren Zustand. Als Ausweg aus diesem Schmerz sah er nur eine Möglichkeit: "Die kränkenden Vorstellungen. . . durch Tätigkeit zu verbannen." In diesem Fall, seinen Schmerz beim Zeichnen zum Ausdruck zu bringen.

Damisch begleitet Goethe auf seinen unterschiedlichen Stationen, beschreibt die jeweiligen Lebenssituation und folgt ihm mit der Kamera auf 40 Stationen durch Mitteldeutschland. Der Autor schreibt über Goethes Zeit während seines Studiums der Rechtswissenschaften in Leipzig und Straßburg, über seine Zeit als Anwalt in Frankfurt / Main und seine Berufung durch Herzog Carl August an den Weimarer Hof, wo er politische Aufgaben im Finanzwesen sowie Berg- und Wegebau übernahm. Schon während seines Studiums habe sich Goethe aber vielmehr für Literatur und Zeichenkunst interessiert, als für das Studium der Rechte. "Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige, was mich erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichten als mich im Innern deshalb zu beruhigen."

Seine Leidenschaft für das Zeichnen bringt er in den zahlreichen Briefen an Charlotte von Stein zum Ausdruck. So schreibt Goethe in einem Brief vom 8. August 1776 an Charlotte von Stein: "Ich hab heute den ganzen Tag für dich gezeichnet, nicht immer glücklich, aber immer warm. . . Ich muss nur für dich zeichnen, du thust das dazu was ich nicht machen kann." Herausgekommen sind Zeichnungen vom Stützerbacher Grund (bei Ilmenau), die er seiner Geliebten wenige Tage später unvollendet schickte. "Denn ich fürcht ich verderb sie." Gezeichnet hat der Dichterfürst während seiner Weimarer Zeit auch die Dornburger Schlösser, die Felsentreppe im Weimarer Park, die Wartburg und Schloss Großkochberg, den Wohnsitz der Charlotte von Stein. Er zeichnete auf Harzreisen den Brocken und die Feuersteinklippen bei Schierke, das Schloss Wörlitz und die Kirchenruine auf dem Petersberg. "Aus seinen Zeichnungen und Dichtungen spricht das untrügliche Gefühl des Einbezogenseins des Menschen in den Prozess des Werdens und Vergehens allen Lebens in der Natur", schreibt Damisch. Und stellt fest: "Nur wenn er freudig und frisch in wirklicher Unbekümmertheit zeichnen konnte, dann gelangen ihm seine Bilder zu seiner Zufriedenheit." Damisch beschreibt Goethe aber nicht nur als darstellenden Künstler und Dichter in Zeichnungen, Gedichten und Briefen, sondern nähert sich auch dem Menschen, der vor allem durch die Bekanntschaft mit Friedrich Schiller innerlich reifte, "auch wenn er es nicht zugeben wollte", sagt Damisch. Er hatte nicht den Anspruch, ein kunsthistorisches Werk zu verfassen, sagt der Bernburger. Er habe versucht, den "physischen und philosophischen Wandel" und "die schriftstellerische Reife" darzustellen. Der 1832 in Weimar verstorbene Goethe habe zwar die zeichnerischen den dichterischen Absichten gleichgestellt, sagt Damisch. "Dennoch hat er im Alter realistisch eingeschätzt, dass er größeres Talent zum Schreiben als zum Zeichnen besaß."

Nach dem Ausscheiden aus dem Beruf zur Wendezeit sei er in ein "Loch" gefallen, sagt der 77-Jährige. Er habe nach weltanschaulichen Grundlagen gesucht, mit denen er sich identifizieren konnte, und fand diese bei Goethe. Von einem Professor des Landeskrankenhauses hatte er mehrere Goethe-Bände bekommen, und fortan beschäftigte er sich mit dem Universalgenie. Hervorheben möchte Damisch kein Werk. Es ist die Gesamtheit, die ihn begeistert. Und er wollte die Erkenntnisse aus diesen jahrelangen Recherchen auch für andere zugänglich machen, sagt er zu seiner Motivation ein Buch zu schreiben, das so fern ab seiner früheren wissenschaftlichen Arbeit ist. Außerdem soll die Epoche der Klassik nicht in Vergessenheit geraten. "Das Buch soll die Klassik wieder ein Stück in die Gegenwart rücken", sagt der 77-Jährige.

Das Buch von Damisch hat gewiss Grenzen. Die Zeichnungen und Fotos würden sicher vielmehr wirken, wenn sie etwas größer abgedruckt würden. Dennoch gibt es interessante Einblicke in das Leben Goethes, besonders in das des Zeichners.

"Goethes Zeichnungen" von Wolfgang Damisch erscheinen im Projekte-Verlag Cornelius, Halle. 254 Seiten, geb., 19,90 Euro