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Glanzrolle für Mircea Krishan Glanzrolle für Mircea Krishan: Ein Albtraum von Sibirien von Felix Mitterer

Von Uwe Kraus 30.09.2002, 15:04

Quedlinburg/MZ. - Kälte kriecht durch die wohl temperierte Neue Bühne. Sibirien lässt grüßen in dem gleichnamigen Stück von Felix Mitterer. Ein Quadrat aus kaltem Licht umkränzt das Bett des alten Mannes irgendwo im Pflegeheim. Und Gefühlskälte weht durch das Zimmer. Der Alte erinnert sich an den Krieg und seine Zeit in Sibirien. Ja, dort war es auch kalt, doch dort hat er Russisch und Schach gelernt. Den Frost da hat er überlebt, an der Unterkühlung der Seele bei seiner "zweiten Deportation" wird er letztlich zu Grunde gehen.

Intendant Kay Metzger inszeniert am Nordharzer Städtebundtheater diesen vor 13 Jahren uraufgeführten Monolog; der ein Aufschrei ist, ein 75minütiges Plädoyer gegen die Ver- und Entsorgungsmentalität in Verwahranstalten für alte Menschen. Im Jahr seines 60. Bühnenjubiläums spielt Mircea Krishan diese Glanzrolle des ins Pflegeheim abgeschobenen Alten. Ständig hat er sein Publikum im Blick, jedes Wort klingt wie eine Aufforderung zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Altwerden in Würde.

Die Zuschauer lauschen, wenn schon das Personal und seine Angehörige sich nicht die Zeit zum Zuhören nehmen. Wir werden Zeugen des Verfalls und des Schmerzes über die Einsamkeit im Heim und des missglückten Versuchs, sich Hinwendung und Nähe mittels eines gut gefüllten Sparbuches zu gönnen. Was blieb ihm? Die Erinnerungen und der Wunsch, mit seinem Hund am Fluss entlang spazieren zu können.

Szene für Szene, die mit Musik der "Donkosaken" verbunden werden, geht es mit dem Alten bergab. Klar artikulierend und bloß an einer Krücke schreitend begehrt Mircea Krishan auf, gegen den Familienverband, der ihn nach einem Krankenhausaufenthalt gleich ins Heim weiterschob, und die Zustände dort. Er gilt als unbequem, weil er noch fragt und fordert. Und damit den engen Zeitrahmen für Abwaschung, Abtropfung und Abfütterung mit Altersdiät zu sprengen droht. Selbst am Gehgerüst wirkt er noch einigermaßen rüstig und ist stolz, allein zur Toilette gehen zu können.

Doch immer stärker schwinden seine Kräfte, körperliche wie psychische. Unvollendete Sätze, der Platz im Rollstuhl, Fahrigkeit, Erinnerungslücken, der Verfall schreitet fort. Und wie die Blumen auf dem Nachtschränkchen welkt der Alte dahin. Und verliert seinen Biss, obwohl er noch seine eigenen Zähne trägt und sich das "querbett Sitzen" erstritten hat. Der altersstarrsinnige, cholerisch Aufmüpfige endet als Pflegefall hinter den Gitterstäben seines Bettes. Verwirrt mischt er zunehmend das Gestern und Heute, gleitet in seine eigenen Gedankenwelt. Dem Bundespräsidenten, an den er sich wegen der Missstände in der Pflege gewandt hatte, erzählt er in seiner zunehmenden Senilität eine Geschichte, in der Pflegeheim und die Erinnerung an Sibirien verwoben sind.

Sanft holt der Tod den alten Mann dorthin, wo seine Agnes schon ist. Dazu rieselt Schnee. Stille und dann starker Applaus für einen wunderbaren Darsteller und eine tief berührende Inszenierung, die die Reihe großer Solostücke am Nordharzer Städtebundtheater eindrucksvoll fortsetzt.