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Gemeindezentrum Ehemaliges Gewandhaus Breite Straße Aschersleben: Kirchspiel lädt ein ins künftige Gemeindezentrum

Von Regine Lotzmann 06.05.2019, 12:48
Die Theatergruppe der evangelischen Grundschule und die Turmbläser verzaubern beschwingt die Gäste der offenen Tür im Gemeindezentrum.
Die Theatergruppe der evangelischen Grundschule und die Turmbläser verzaubern beschwingt die Gäste der offenen Tür im Gemeindezentrum. Frank Gehrmann

Aschersleben - „Ich bin total aufgeregt, wahnsinnig begeistert und könnte schon wieder heulen“, gesteht Anne Bremer. Der Ascherslebener Pfarrerin, die in ihrem roten Sommerkleid vor unzähligen Gästen steht, merkt man die Begeisterung über das neue, so helle und luftige Gemeindezentrum der evangelischen Kirche an.

Anfang des Jahres hatte das Kirchspiel Aschersleben das alte Gewandhaus in der Breiten Straße mit Unterstützung des Kirchenkreises Egeln gekauft und obwohl – oder gerade weil – es noch nicht fertig ist, nun zu einem Tag der offenen Tür geladen.

Gäste im künftigen Gemeindezentrum  können ihre Ideen und Gedanken auf Papier hinterlassen

„Der Tag heute soll, was die Ideen angeht, noch einmal Impulse bringen“, sagt Pfarrer Holger Holtz. Deshalb sind an den Wänden große Papierbahnen angebracht, auf denen jeder Gast seine Gedanken verewigen kann. „Was können wir für Dich tun?“ und „Wie möchtest Du Dich einbringen?“ wird darauf gefragt.

„Denn dieses Haus soll nicht nur Ort für die Kirchengemeinde sein, sondern für alle. Wann es aber losgeht, das wissen wir noch nicht“, gibt Anne Bremer zu. Im Moment schwitzen die Verantwortlichen nämlich noch über dem Brandschutzkonzept.

Dass das Gemeindezentrum trotzdem schon seine Türen öffnet, sei ein ungewöhnlicher Weg. Aber genau richtig, findet Bremer, um schon im Vorfeld ganz viele Ideen zusammenzutragen. „Wir wollen als Kirchengemeinde für die 25.000 Ascherslebener da sein, also müssen wir fragen, ob sie Lust darauf haben und wie“, sagt die Pfarrerin und nennt die Planung ein Mitmach-Projekt. Doch dafür müssten sich die Leute das riesige Haus auch anschauen dürfen.

Im früheren Gebäude der Tuchmachergilde  befanden sich zwischenzeitlich ein Pferdestall und ein Brauhaus

Und so ziehen am Sonntag zahlreiche Gäste durch die historischen Mauern, die bis Ende des 15. Jahrhunderts das Gewandhaus der Ascherslebener Tuchmachergilde waren – mit Ratsstube und Ratskeller und großen Hallen für den Stoff- und Tuchverkauf. Im 30-jährigen Krieg wurde das Gebäude sogar zum Pferdestall degradiert, später war es Brauhaus.

1875 machte Isidor Hirsch ein Kaufhaus für Manufaktur- und Modewaren daraus. Bis Familie Quenzel es 1922 übernahm – als Geschäft für Glas- und Luxusartikel. Dem folgte ab 1970 das HO-Kaufhaus „1000 kleine Dinge“ und in heutiger Zeit ein Schuhgeschäft.

Modewaren, Glas, Haushaltswaren und Schuhe – im Gewandhaus wurde seit 1875 gehandelt

Was nun daraus wird, das grobe Gedankengerüst steht. Die untere Etage soll offen für die ganze Stadt sein. „Ein Ort der Begegnung, des Kennenlernens und Austauschens“, sagt Anne Bremer. So sollen dort Gottesdienste gefeiert und Veranstaltungen aller Art angeboten werden, wie Ausstellungen oder Chorauftritte.

„Es soll gefüllt werden mit allem, was Aschersleben zu bieten hat.“ Oben auf der Galerie wird die Kinder- und Jugendarbeit untergebracht. Vorerst, denn die soll später einmal Platz auf dem Dachboden finden. Doch der ist noch gar nicht ausgebaut.

Das Café im alten Scharren könnte vielleicht schon vor dem Sommer eröffnet werden. „Aber dafür suchen wir noch Freiwillige“, sagt die Pfarrerin. In der Beletage – das zeigen die Zettel an den Türen - kommt die klassische Gemeindearbeit unter. Gesprächskreise, Gemeindetreffen, Sitzungen des Gemeindekirchenrates.

Die 74-jährige Lore Böhm erinnert sich an ihre Kindheit in den 1950er Jahren

„Diese Etage ist wirklich traumhaft schön“, sagt die Pfarrerin. Stuckdecken. Hohe Flügeltüren. Holzböden, in jedem Zimmer ein anderes Muster. „Unsere Kindheit hat sich in diesem Raum abgespielt“, zeigt Lore Böhm auf die zukünftige Küche.

„Das war nämlich das Zimmer meiner Großmutter und der einzige Raum, der in den 50er Jahren geheizt wurde.“ Denn die 74-Jährige ist eine geborene Quenzel und in diesem Haus aufgewachsen.

Den Tag der offenen Tür nutzt sie, um sich gemeinsam mit ihrem Sohn Ralf ihr altes Zuhause anzuschauen. „Meine Großmutter hat das Geschäft geführt und meine Mutter es dann übernommen, bis zu ihrer Rente“, erzählt sie. Und meint, dass es schon ein seltsames Gefühl sei, das hier zu sehen. „Ich habe unten im Saal das Fahrradfahren gelernt“, sagt ihr Sohn und lacht.

Genau solche Geschichten und alte Bilder vom Gebäude sucht Anne Bremer. „Denn das ist Geschichte, ist Erinnerung und soll erhalten bleiben.“ Und schon wieder gerät sie ins Schwärmen: „Diese Verbindung von der Stadt zur Stephanikirche“, zeigt sie auf eine gläserne Sichtachse im Inneren, die Breite Straße und Kirchhof miteinander vereint. „Und wenn sich unsere Arbeit mit der der Stadt verzahnt, dann wird das Haus lebendig“, ist sich auch Pfarrer Holtz ganz sicher.

(mz)

Das Café im Scharren kann schon einmal ausprobiert werden.
Das Café im Scharren kann schon einmal ausprobiert werden.
Frank Gehrmann
Fotos zeigen, wie der Dachboden aussieht. Dort soll es mal Jugendarbeit geben.
Fotos zeigen, wie der Dachboden aussieht. Dort soll es mal Jugendarbeit geben.
Gehrmann