Die größte Ein-Mann-Band Die größte Ein-Mann-Band: In Aschersleben steht eine ganz besondere Orgel

Aschersleben - Auch abseits des weihnachtlichen Singens verbinden die meisten Menschen etwas Sakrales, etwas Geistliches mit den Klängen der Orgel. Das ist aber nicht der einzige Grund, aus dem Kirche und Orgel so eng verknüpft sind: „Die Orgel kann einen Ton ewig halten. Diese Ewigkeit passt einfach zum Göttlichen“, weiß Thomas Wiesenberg, Kantor in Aschersleben.
In Aschersleben finden sich gleich mehrere der großen Instrumente
Damit der Menschheit dieses Kulturgut auch noch lange erhalten bleibt, hat die Unesco-Kommission den Orgelbau und die Orgelmusik als immaterielles Kulturerbe ausgezeichnet. Eine entsprechende Urkunde überreichte die Präsidentin der Kommission Vertretern des Orgelgewerbes in Berlin. Im Gegensatz zu den Welterbestätten werden so kulturelle Ausdrucksformen ausgezeichnet, die man nicht anfassen kann – die also immateriell sind. Kriterien für die Aufnahme in die Unesco-Liste sind unter anderem die Lebendigkeit der kulturellen Ausdrucksform, deren identitätsstiftende Komponente sowie deren lange Tradition.
Deutschland gehört mit 400 Orgelbaubetrieben zu den wichtigsten Ländern der Orgelbaukultur. Auch zahlreiche bedeutende Orgel-Komponisten, wie Bach, Mendelssohn oder Liszt, waren hier beheimatet. In Aschersleben finden sich gleich mehrere der großen Instrumente. Die Orgel in der Stephanikirche ist das wohl bekannteste der Stadt: eine Röver-Orgel. Die wurde nach mehreren Vorgängerinstrumenten 1907 von dem berühmten Orgelbauer Ernst Röver gebaut.
Röver-Orgel hat trotz Hitze immer einwandfrei funktioniert
Heute haut hier meist Thomas Wiesenberg in die Tasten. „Röver hat hier wirklich gute Arbeit geleistet. Die Qualität des Handwerks ist bemerkenswert“, sagt der Kantor. Während im vergangenen Sommer viele andere Orgeln aufgrund der starken Hitze ausgefallen wären, hätte die Röver-Orgel immer einwandfrei funktioniert.
Das Instrument gehört zu den pneumatischen Orgeln. Das heißt: Anstatt durch ein mechanisches Gestänge, werden die Ventile der Orgelpfeifen mit Luft gesteuert. Durch den Druck auf eine Taste des Manuals öffnen sich Klappen. Diese erlauben es der Luft - im Fachjargon „Wind“ genannt -, durch Bleirohre zu der entsprechenden Orgelpfeife zu strömen, um dort wiederum Ventile zu öffnen. Der „Wind“ kommt aus dem sogenannten Windkasten, in dem dauerhaft ein konstanter Luftdruck herrschen muss. Früher mussten hier mehrere Kirchendiener große Blasebälge mit den Füßen bedienen. Das erledigt heute ein Gebläse mit Motor. „Von der Bedienung her ist die Orgel ein Tasteninstrument, von der Tonerzeugung ein Blasinstrument“, erklärt Wiesenberg.
„Das Reizvolle ist ja, dass man so viele Möglichkeiten hat“
Das Spielen einer Orgel ist sehr anspruchsvoll. Während es bei einem Klavier üblicherweise eine Tastenreihe und drei Pedale gibt, reihen sich bei der Röver-Orgel gleich drei Klaviaturen übereinander. Anders als beim Klavier ist es hier möglich, mit den Füßen auf Pedalen tiefe Basslinien zu spielen. „Man benötigt wirklich andere Gehirnwindungen als beim Klavierspielen. Das ist Übungssache“, weiß Wiesenberg.
Ihn hat das nicht davon abgehalten, sich intensiv mit dem Instrument zu beschäftigen. „Das Reizvolle ist ja, dass man so viele Möglichkeiten hat“, sagt Wiesenberg strahlend. Denn die Röver-Orgel bietet einige technische Kniffe, fast wie ein altertümlicher Synthesizer: Mittels zahlreicher Knöpfe lassen sich verschiedene Effekte hinzufügen. Dann klingt die Orgel mal gestochen scharf wie ein Blasinstrument, weich wie ein Chor oder lässt Töne vibrieren wie bei einem elektronischen Keyboard. Ähnlich einem Orchesterdirigenten kann über Regler auch gesteuert werden, welche und wie viele der Pfeifen gleichzeitig erklingen.
Je nach Größe und Material - Holz oder Zinn - unterscheiden sich die Pfeifen in Klangfarbe und Tonhöhe. „Mit der Orgel bin ich meine eigene Band“, sagt Wiesenberg. (mz)