Sexuelle Belästigung Sexuelle Belästigung: «Jede Frau nimmt es anders wahr»

Köln/dpa. - Ob auf der Arbeit, in der Freizeit, unter Freunden oder Bekannten: «Sexuelle Belästigung gegenüber Frauen ist immer noch ein weitreichendes gesellschaftlichesProblem», sagt Elisabeth Faßbender, Sozialarbeiterin amFrauenberatungszentrum Köln. «Sie gilt nach wie vor alsKavaliersdelikt, kann aber weitreichende gesundheitliche undpsychische Folgen für die Betroffenen haben.»
Der lockere Pfiff vom Fremden auf der Straße, der Blick desBusnachbarn ins sommerliche Dekolleté, der Pin-Up Kalender in der Autowerkstatt: Was die eine Frau harmlos findet, ist für andere Frauen bereits sehr unangenehm. «Hier verschwimmen die Grenzen, jede Frau nimmt solche Situationen anders wahr», erklärt Sybille Ruschmeier vom Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen ausHamburg. Sexuelle Belästigung erklärt sich somit immer aus der Sichtder betroffenen Frau und weniger aus den tatsächlichen Beweggründendes Mannes. «Sexuelle Belästigung ist immer das, was von der Frausubjektiv als solche wahrgenommen wird, wodurch sie sich verletzt,beleidigt oder nicht respektiert fühlt.»
Doch so klar die eigenen Grenzen auch gezogen sind: «Viele Frauensind verunsichert, erdulden unangenehme Situation eher, als Kritik zuäußern», sagt Diplom-Psychologin Monika Holzbecher aus Essen. Dochdas Verhalten zu ignorieren, führt in der Regel nicht dazu, dass derBelästiger damit aufhört. Im Gegenteil: «Wer sexuelle Belästigungstillschweigend über sich ergehen lässt, ermutigt den Täter oft zuweiteren Übergriffen.»
Am häufigsten leiden Frauen am Arbeitsplatz unter sexuellenBelästigungen, sagt Elisabeth Faßbender. Hier entsteht schnell einTeufelskreis: Aus Angst vor Mobbing oder Verlust des Arbeitsplatzes,schweigen die Betroffenen, versuchen den Übergriffen des Kollegenoder Vorgesetzten Stand zu halten oder hoffen darauf, dass esirgendwann aufhört. «Doch diese Belastung macht krank, führt zuSchlafstörungen, Depressionen oder auch Angstzuständen.» Bereits beimersten Anzeichen sollten Frauen sich deshalb Unterstützung suchen.«Ob das Gespräch mit Kollegen und Kolleginnen, dem Vorgesetzten oderauch dem Betriebsrat - gehen Sie das Problem offensiv an!»
Auch in anderen alltäglichen Situationen ist es wichtig, Flagge zuzeigen. Wenn der fremde Sitznachbar im Bus zu nahe rückt oder beimEinsteigen in den Zug der Po betatscht wird, sollten Frauen am bestensofort reagieren: «Sagen Sie laut und deutlich, dass Sie das nichtmöchten», rät Holzbecher. Gerade eine laute Zurückweisung wirkteffektiv: So gerät der Belästiger in den Fokus der Aufmerksamkeit,wird öffentlich beschämt. Denn vielen Männern ist ihr Fehlverhaltennicht bewusst. «Erst eine klare Zurückweisung macht diesen Männerndeutlich, dass sie einen Schritt zu weit gegangen sind.»
Doch vielen Frauen fehlt der Mut, sich in belastenden Situationendeutlich abzugrenzen. «Frauen formulieren häufig viel zu vorsichtig,überlassen dem Belästiger damit weiteren Spielraum», erklärtHolzbecher und nennt ein Beispiel: «Als Abwehr gegen sexuelleÜbergriffe sagen viele, dass sie bereits einen Freund haben.» Dochdiese Aussage zieht keine klare Grenze, gibt dem Belästiger sogar dasGefühl, trotzdem interessant zu sein. Die Psychologin rät deshalb zurklaren Ansage: «Ich finde dich überhaupt nicht attraktiv, lass michin Ruhe.» Nur so wird dem Fremden deutlich gemacht, dass er keineChance mit seinen Annäherungen hat.
Besonders in der Disko oder Kneipe machen viele Frauen den Fehler,eine sexuelle Belästigung als Flirtversuch zu relativieren. «Hierbesteht immer noch das Vorurteil, dass die Abwehr sexuellerAnspielungen und Übergriffe auch jede Flirtchance verbaut», weißRuschmeier aus ihrer Beratung. Doch ein Flirt ist von Respekt undgegenseitiger Achtung geprägt. Sobald hier etwas außerhalb desgegenseitigen Einvernehmen passiert, ist die Grenze überschritten:«Frauen sollten sich auch klar machen, dass ein belästigender Mannsowieso nicht der richtige Partner sein kann», sagt Holzbecher.
Um immer für das eigene Wohlbefinden richtig reagieren zu können,müssen Frauen ihrer Wahrnehmung vertrauen. Auch wenn die Situationnicht eindeutig ist, die Belästigung auch als Zufall interpretiertwerden könnte: «Nehmen Sie Ihre Gefühle immer ernst», rät Ruschmeier.Doch lautstark und selbstbewusst zu reagieren, ist nicht immereinfach. Wer mit einem übergriffigen Fremden alleine in der U-Bahnsitzt, im Park oder auf nächtlicher Straße sexuell belästigt wird,hat Angst. Faßbender empfiehlt Frauen daher, genau auf ihre Intuitionzu hören: «Wie fühle ich mich? Wie brisant ist die Situation? Wiewird der Täter reagieren?» Anstatt laut zu reagieren, ist es deshalbin heiklen Situationen ratsamer, sich Hilfe zu holen.
Leider gibt es keine Möglichkeit, sich generell vor sexuellenÜbergriffen zu schützen. «Jede Frau in jedem Alter und jederLebenssituation kann betroffen sein», sagt Faßbender. Ob kurzer Rockoder lange Hose, schlank oder dick, jung oder alt, selbstbewusst oderschüchtern: «Selbst schwangere Frauen erleben sexuelle Belästigungenauf offener Straße», beklagt Ruschmeier. Und nach wie vor, da sindsich alle Expertinnen einig, ist sexuelle Belästigung eine Folge dergesellschaftlichen Frauenbenachteiligung. «Frauen haben immer nochdie schlechteren Karten in unserer Gesellschaft», so Faßbender.Sexuelle Belästigung sei eine Form der strukturellen Gewalt, in derMänner Macht über Frauen ausüben können. Ruschmeier appelliertdeshalb an alle Frauen: «Wehren Sie sich!»