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Atomeisbrecher Atomeisbrecher: Eiscreme am Nordpol

Von ELKE RICHTER 16.09.2011, 16:38

Halle (Saale)/MZ. - Darauf hat sich Falko Schäfer am meisten gefreut. Endlich wieder in seiner geräumigen Küche am neu angeschafften Profi-Herd zu stehen und eine leckere Kalbsbeinscheibe mit reichlich Rotwein zuzubereiten. Vermisst hat der gelernte Koch aus Holzweißig aber auch die sommerliche Wärme, das üppige Grün und das bunte Blühen in Deutschland. "Zwei Monate lang haben wir nichts anderes gesehen als Eiswüste, Felsen, ein paar Walrosse, Eisbären und Wale", sagt der 28-Jährige und schaut aus dem Fenster. Draußen flattert Wäsche im Sommerwind. Drinnen spektakelt ein ziemlich agiler Nymphensittich. Monique Glöckner, Falkos Lebensgefährtin und Arbeitskollegin, stellt derweil Kaffeetassen auf den Tisch. Dort steht schon der Laptop der beiden Event-Köche, die eine Catering-Firma in Holzweißig, vor den Toren Bitterfelds, betreiben.

Wegen ihres Unternehmens, das bei Feiern aller Art für die lukullischen Genüsse sorgt, wäre beinahe das Arktis-Abenteuer der beiden Sachsen-Anhalter ins Wasser gefallen. "Doch alles schön der Reihe nach", bremst Monique und schaut zu ihrem Freund. Der rückt erst mal den Laptop zurecht und lässt dann die Wochen im ewigen Eis mit einer Foto-Schau Revue passieren.

Alles, so erzählt der fitnessgestählte Hotelbetriebswirt, hatte im März mit einem Anruf begonnen. Ein Bekannter fragte, ob die beiden Sachsen-Anhalter, die schon bei Crew-Caterings u. a. für Take That, Max Raabe und Roxette ihre Kompetenz unter Beweis gestellt hatten, nicht Lust hätten auf eine Seereise. Erfahrene Köche würden von der Firma Signum Hotelorganisation gesucht, die die Versorgung der Passagiere übernehmen könnten. Falko Schäfer, der Strand und Palmen mag, sah sich schon an Bord eines luxuriösen Schiffes durch die Karibik schippern und für Promis kochen. Ein weiterer Anruf präzisierte den Einsatz. "Ihr fahrt an der Küste Russlands lang." Beim dritten Telefonat stand fest: Die Reise geht zum Nordpol. Und das gleich vier Mal. Und natürlich auf einem Atomeisbrecher, der in der Sommerzeit für wenige Wochen Touristen an Bord nimmt.

Acht Wochen sollte die Expedition über 20 Breitengrade dauern. "Da waren wir erst mal sprachlos", gesteht Falko Schäfer. Nicht nur wegen des Ziels. Der Nordpol ist ja wohl das Letzte, an das man bei einer Schiffsreise denkt. "Es war vor allem wegen der langen Zeit. Unsere neu gegründete Firma begann grad zu laufen. Die ersten Aufträge kamen rein und da sollten wir für zwei Monate von der Bildfläche verschwinden? Unerreichbar sein für unsere Kunden? Das könnte das Ende für unser Unternehmen bedeuten", fasst der 28-Jährige die damaligen Bedenken zusammen. Doch dann entschied sich das versierte Koch-Duett für die mehrmalige Dienstreise zum Nordpol. Und wurde von Ende Juni bis Mitte August Mitglied einer 13-köpfigen internationalen Catering-Crew, die auf jeder Fahrt 128 Passagiere im Alter zwischen drei und 90 Jahren lukullisch verwöhnte.

Die Reisepässe waren schnell besorgt. Etwas schwieriger gestaltete sich da schon die Beschaffung der Wintergarderobe. "Versuch' mal im Juni Strickpullover und Winterstiefel zu bekommen", erzählt Monique Glöckner und erinnert sich, dass es im Eismeer dann doch gar nicht so kalt war. "So um die Null Grad zeigte das Thermometer auf Franz-Josef-Land, eine unserer Reisestationen", erzählt die 29-Jährige, die sich erst daran gewöhnen musste, dass die Sonne nie unter ging. Manchmal denkt die Hotelbetriebswirtin auch noch an den Tag, als sie zum ersten Mal an Bord der "50 Let Pobedy", so hieß der Eisbrecher, ihre Kabine betrat. "Da war nichts mit Luxus. Das Mobiliar verströmte den Charme der 1980er Jahre. Aber jede der 64 Außenkabinen für die Touristen hatte ein Fenster, ein Bad mit Dusche und einen Fernseher." Der allerdings blieb meistens ausgeschaltet, denn nach einem oftmals 14-stündigen Arbeitstag in der engen Bordküche, die sie sich mit den Köchen der Eisbrecher-Besatzung teilten, war den Beiden nicht nach TV zumute.

Am Kräfte zehrendsten empfanden die Sachsen-Anhalter vor jedem Auslaufen aus Murmansk das Verladen des Proviants für die Touristen, die meist aus Asien kamen und für die Reise umgerechnet ab 16 000 Euro pro Kopf bezahlt hatten. "Tonnen von Kartoffeln, Fleisch, Bananen und Gemüse haben wir in unsere Lagerräume gewuchtet. Die lagen drei Etagen unterhalb der Wasserlinie", sagt Falko Schäfer und zeigt auf den Laptop-Bildschirm. "Das ist unser Eisbrecher." Ein Schiff ist zu sehen, mit schwarzem Rumpf und orangefarbenen Aufbauten. Es parkt im Eis. Der Bug des 159 Meter langen und 30 Meter breiten Gefährts ist robust. Muss er auch, sagt Falko. Denn während der Fahrt durch den Arktischen Ozean bricht das Schiff mit seinen 75 000 PS bis zu drei Meter dickes Packeis. Einfach so. Wie Knäckebrot. Nur ist das Geräusch viel lauter und da kommt dann auch schon mal der Gedanke an die "Titanic", die vor 100 Jahren mit einem Eisberg kollidierte und sank, gibt Monique Glöckner zu. Sie hat das Krachen des Eises während ihrer Nordpol-Reisen noch im Ohr. Es war allgegenwärtig. So wie die ständigen Vibrationen. "Unserem chilenischen Kollegen gefiel das. Er meinte, dass sei wie bei ihm zu Hause beim Erdbeben", lacht Schäfer und ergänzt: "Gewöhnungsbedürftig war auch, dass wir mit Töpfen und Pfannen ständig bergauf laufen mussten. Wenn sich der Bug aufs Eis schob, ging nämlich vorn das Schiff in die Höhe."

Dann zeigt der Koch-Profi, der in seiner Freizeit modelt, weitere Fotos. Eisbären sind zu sehen. Ein Walross mit dicken Stoßzähnen. Und immer wieder Eis, Gletscher, aber auch ein paar blühende Flechten im Fels. Und Steinkugeln, bis zu drei Meter im Durchmesser, die zu den geologischen Phänomenen auf Franz-Josef-Land gehören, einem Archipel aus etwa 190 Inseln, so groß wie Thüringen. Fast 90 Prozent ist mit Eis bedeckt, weiß Falko Schäfer.

Und aus eigenem Erleben weiß der Jungunternehmer nun auch, dass diese 1873 von österreichisch-ungarischen Forschern entdeckte arktische Welt ein Paradies ist für Abenteurer und Eisbären, die sich nirgendwo auf der Welt in freier Wildbahn so nahe kommen können wie hier. Falkos Fotos, von Bord aufgenommen, sind der Beweis. "Bevor es mit dem Helikopter aufs Eis ging, erkundete stets eine Patrouille, dass keine Bären in der Nähe waren", erzählt der Profi-Koch und kommt endlich auf den Höhepunkt der Reise zu sprechen - auf den Nordpol.

Zu sehen gibt es da absolut nichts. Keine Hütte und keine Stele markieren den nördlichsten Punkt der Erde. Nur meterdickes Eis, soweit das Auge reicht, beschreibt der 28-Jährige einen der wohl isoliertesten Orte der Welt, den bisher vielleicht nicht mehr als 26 000 Menschen betreten haben, schätzt Falko Schäfer. Und gesteht, dass er beim ersten Mal wie alle Touristen auch aus dem Häuschen war, als es hieß: der 90. Breitengrad Nord ist erreicht. Jetzt geht es aufs Eis. "Da steht man ganz oben auf der Weltkugel und ist ergriffen. Von hier geht es in alle Richtungen immer nach Süden", spricht Falko Schäfer. "Und man kann mit nur wenigen Schritten die Erde umrunden", strahlt Monique Glöckner und erzählt, dass die Catering-Crew zur Nordpol-Taufe ein Barbecue auf dem Eis vorbereitet hatte. "Später gab's Eiscreme mit Trüffelfüllung und Pinguine aus Baissier", ergänzt Event-Koch Schäfer. Er klappt den Laptop zu. Es ist Zeit, sich um die Catering-Firma zu kümmern. Mal sehen, ob irgendwann wieder mal so ein Anruf kommt. Und vielleicht geht es dann zum Südpol?

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