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Schauspiel Chemnitz Schauspiel Chemnitz: Das Lachen kommt auf roten Socken

Von Andreas Montag 12.01.2004, 16:46

Chemnitz/MZ. - Ach, seufzt eine Dame in gepflegtem Sächsisch, wo sinn dä Jahre hinn? Und der ältere Herr, den sie das gefragt hat, weiß es natürlich auch nicht. Man steht im weitläufigen Foyer des Chemnitzer Schauspielhauses, wartet auf die Garderobe und schmeckt der Premiere von Heiner Müllers Stück "Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande" nach.

Genau darum geht es hier ja eigentlich: Wie der Osten vor einem halben Jahrhundert tickte, wieviel Utopie da war zur Zeit von Bodenreform und Kollektivierung - und warum uns das heute, nach so viel verflossener Zeit, am Ende der Utopien, noch betreffen sollte. Aus diesem Grund hat Regisseur Manuel Soubeyrand das Stück wohl ausgesucht, nur ist die Idee nicht mit letzter Konsequenz durchgeführt. Dass "Die Umsiedlerin" nach ihrer spektakulären Uraufführung und dem Verbot durch die SED im Jahr 1961 zu einem Mythos für die DDR-Intelligenzija wurde, kann eigentlich kein Spiel-Anlass sein.

Deshalb will Soubeyrand seine Inszenierung bewusst in die Zeit stellen, was zur Hälfte gelingt, zur Hälfte nicht. Der Abend beginnt stark mit Müllers "Wolokolamsker Chaussee". Wie Gewehrfeuer hacken Carola Sigg und Barbara Ansorg den Text über die Grausamkeit des Krieges heraus.

Am Ende aber tönen die Stimmen der Genossen Ulbricht und Schabowski aus dem Off, der eine will nie eine Mauer bauen, der andere lässt sich für deren Öffnung feiern. Das ist hübsch. Und überflüssig. Wir wissen ja, wie die Geschichte ging.

Dazwischen findet "Die Umsiedlerin" statt. Hier, wie schon beim Einstieg, überzeugt die sinnfällige Bühne: Die Szenen werden wie Bildausschnitte geöffnet und geschlossen, als ob der Betrachter durch eine Fotolinse sähe, schräg steht die Welt im Raum, manchmal dreht sich den Akteuren der Boden unter den Füßen weg.

Vor den Text aber drängt sich zuweilen die schmunzelnde Weisheit der Nachgeborenen - und beschädigt damit den Autor, den man doch ehren will. Warum muss ein Hitler-Rumpelstilzchen auch noch als Transvestit verkleidet herum hüpfen, weshalb tragen die Parteiarbeiter rote Socken, die Pimpfe von der FDJ sogar rote Kniestrümpfe? Es soll uns heiter stimmen.

Freilich ist Müllers Stück, in großer Sprache gerissen zwischen scharfer Komödie, Utopie und zynischem Lehrstück über die Vergeblichkeit des sozialistischen Plans, wohl ein Unding an sich.

Umso nötiger, dem Text seine Wirkung zu lassen. Es sind die einfachen, also klaren Bilder, die den Abend lohnen: Etwa, wenn der wurzellose Träumer Fondrak von seiner schwangeren Frau, der Umsiedlerin (herausragend Tilo Krügel und Sabine Fürst) fort geht, nach Westen, nach nirgendwo. Aber dieser erhobene Ton hält eben nicht. So kippt das Spiel dann oft direkt in den Schwank.