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Robinson des Rock Rammstein Keyboarder Christian "Flake" Lorenz - Biografie: Robinson des Rock

Von Steffen Könau 05.10.2017, 20:12
Christian „Flake“ Lorenz nimmt am 8. September in Berlin den Preis für Popkultur in der Kategorie „Beste Live-Show“ für Rammstein entgegen.
Christian „Flake“ Lorenz nimmt am 8. September in Berlin den Preis für Popkultur in der Kategorie „Beste Live-Show“ für Rammstein entgegen. dpa

Halle (Saale) - Er ist der Schmale, der bei der Backstageparty von keiner der superschönen Fanfrauen beachtet wird. Der mit der großen Brille, der den Bühnenausgang nicht findet. Der Typ, der im Konzert ein Schlauchboot besteigen und sich auf den Armen Tausender über die Köpfe irgendwohin schippern lassen muss.

Christian Lorenz, von seinen Rammstein-Kollegen und den Fans nur „Flake“ genannt, ist der vielleicht untypischste Rockstar, den es je gegeben hat. Der Berliner, Sohn eines Ingenieurs vom Elektrogerätewerk Treptow, hatte nie den Wunsch, groß rauszukommen, Hits einzuspielen und in riesigen Stadien aufzutreten.

„Ich bin Musiker geworden wie ich ein Junge geworden bin, unausweichlich und ohne persönlichen Einsatz“, fasst er in seiner Autobiografie „Heute hat die Welt Geburtstag“ zusammen. Lorenz, inzwischen 51 Jahre alt und Vater von fünf Kindern, schreibt nicht zum ersten Mal über sich und sein Leben - schon das Buch „Der Tastenficker“, eine voluminöse Annäherung an das, was er von der wilden Vergangenheit noch erinnert, war vor zwei Jahren ein Bestseller.

Rammstein-Keyborder Christian Lorenz: Bei Feeling B im Dauerrausch

Nun also die Fortsetzung. Es geht weniger um die frühen Jahre in der DDR, die Lorenz im Kreis der Anarcho-Kapelle Feeling B und dazu noch im Dauerrausch billigen Fusels verbrachte, sondern um die glorreichen Tage mit Rammstein, den Erfindern und Vortänzern der Neuen Deutschen Härte: Eine Band, die kompromisslos ihren Weg geht, die provoziert und aneckt und doch unbeirrt bleibt. Ein Kunstobjekt. Ein Exportschlager.

Ein Irrtum. Flake Lorenz beschreibt die Anfangstage des Sextetts als ähnlich desperate Zeit wie die Chaos-Jahre bei Feeling B. Er selbst, schon körperlich das ganze Gegenteil der Reckengestalten, die bei Rammstein an Bass, Gitarre und Mikrofon stehen, gerät überhaupt nur in den Kreis der ambitionierten Neugründung, weil er sich eines Tages zu einer Probe einfindet. Es hat ihn danach keiner weggeschickt. Und „wer regelmäßig zur Probe kam, war einfach dabei, wenn er nicht explizit gebeten wurde, nicht mehr zu kommen.“

So einfach beginnt die Weltkarriere. Die allerdings von außen betrachtet beneidenswerter aussieht als sie sich für Flake Lorenz von innen anfühlt. „Heute hat die Welt Geburtstag“ ist nicht nur der witzige und mitunter gallebittere Bericht eines Rockstars, der die Distanz zum zuweilen absurden Geschäft mit der Musik nie verloren hat. Es ist auch die Klageschrift eines einsamen Mannes, eines Robinson des Rock, der zeitweise nicht weiß, wo er ist, was er da tut und warum es überhaupt sein muss.

Kein Schlüsselloch-Bericht: Das Innerste des Rammstein-Organismus bleibt geheim

Immer diese Hallen, die Städte, die Garderoben und die Bühnenklamotten, die immer gleich streng riechen. Rammstein zu sein ist kein Spaß, sondern harte Arbeit, ein Job, in dem der Mitarbeiter perfekt funktionieren muss. Die Leute haben viel Geld bezahlt! Flake Lorenz gibt den Clown, er hat zum Beispiel ein Laufband, auf dem er beim Keyboardspielen immerzu gehen muss. Das gibt der Show Dynamik, strengt aber auch an, zumal der dünne Mann in den kurzen Lederhosen auch noch allerlei anderen zirzensischen Spaß mit sich anstellen lassen muss.

Lorenz erzählt das trocken, ein Stoiker, bei dem sich selbst gelegentliche schlimme Unfälle wie lustiges Musikantenlatein anhören. Aber nein, ein Schlüsselloch-Buch, das das Innerste des Rammstein-Organismus vor der Öffentlichkeit ausbreitet, ist sein Buch trotzdem nicht. Alle Orgien im Bus, die After-Show-Partys und Besuche in Strip-Clubs haben in Lorenz’ lakonischen Berichten etwas zutiefst Tragisches, einen Grundton aus Trauer.

Ganz am Anfang, als Rammstein noch nicht so ganz die große Nummer waren, schickte er seiner Mutter Postkarten und schrieb „dass wir vor ausverkauften Haus gespielt haben“, dass es auch „ausverkauft gewesen wäre, wenn wir nicht mitgespielt hätten, schrieb ich nicht“. Ein lieber Sohn ist er auch noch.

Flake Lorenz, Heute hat die Welt Geburtstag, Piper, 364 Seiten, 20 Euro (mz)