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Mathias Tullner Mathias Tullner: Debattieren, nicht parieren!

Von Christian Eger 19.04.2002, 14:55

Magdeburg/MZ. - Sie wirken wie Spickzettel für das eine große Lamento:

Zeig mir das Land, wo die Neurosen blühen!Es ist jene Kategorie von Reportagen, diean Bahnhöfen oder in Taxis beginnt (Achtung,Journalist reist ein!), dort, wo jedes nochso kleine Zeichen sofort für ein Weltganzesstehen muss, dunkel und bedeutungshubernd.

In der Süddeutschen Zeitung las sich das am Freitag so: "Wie durch geheime Verabredung herrschendüstere Töne, apokalyptische Szenarien, wennüber das elendste der neuen Länder gesprochenwird". Gesprochen? Nein, es wird gesungenund gewrungen. Schon rückt der Bahnhof insBlick, der das Ganze enthüllen soll: "'Wirwaren schon immer der letzte Schiss', knurrt -wie bestellt - der Mann am Bahnhof, der auchnicht weiß, wo die Liberalen ihr Frühlingsfestfeiern." Warum sollte er auch? Nur das sollfeststehen und sofort: armer Mann, armes Land.Sachsen-Anhalt? Ist der Tropf am Tropf.

In der Magdeburger Uni, Abteilung Geisteswissenschaften,sitzt der Landeshistoriker Mathias Tullnerund sieht so gar nicht richtig blass und gottverlassenaus. Herr Professor Tullner, ist Sachsen-Anhalttatsächlich ein Pflegefall? "Nein", sagt erknöchelklopfend, "das ist hier ein ganz normalesBundesland mit seinen historischen, kulturellenund geografischen Eigenheiten!" Tullner sagtdas nicht nur einfach so, er poltert es fast,sehr freundlich, wie alles, was er sagt, undoft mindestens einen Millimeter neben demöffentlichen Wahrnehmungs-Mainstream liegt.

Der 57-Jährige ist "außerplanmäßiger" Professorfür Landesgeschichte in Magdeburg; er kenntdie Klischees in Sachen Sachsen-Anhalt undweiß, dass am Klischee auch stets etwas Wahrheitklebt. Dabei ist Mathias Tullner kein gebürtigerSachsen-Anhalter. Tullner stammt aus Bikács,einem Nest südlich vom Balaton, ein Deutsch-Ungarist er, dessen Familie im Zuge der Gegenreformationim 17. Jahrhundert von der Donau weg in denSüden getrieben wurde. 1948 dann die zweiteVertreibung: Vier Jahre war Tullner alt undlandete in Sachsen-Anhalt - im Auffanglagererst, dann in Holdenstedt, Kreis Sangerhausen.Ein gelobtes Land, trotz alledem. "Wir hattenein eigenes Bett, eine Dusche, medizinischeBetreuung und - niemals Hunger!"

Ein Onkel Tullners, der wie alles männlicheVolk über 16 in Ungarn von den Russen in dieSteinkohlebrüche geschickt worden ist, hatteKohlestücken unter der Haut. Der Arzt im Auffanglager,erzählt Tullner, war entsetzt und schicktediesen Onkel sofort zur Kur! "Das war dochgroßartig - oder?" Ja, das war Sachsen-Anhaltvor 50Jahren, der Staat des liberalen MinisterpräsidentenErhard Hübener, den zu rühmen Tullner nichtmüde wird.

Eine Kindheit auf dem Land also, mitten inSachsen-Anhalt. Natürlich hat der Professor"Liebesau" gesehen, das Sachsen-Anhalt-Eposim ZDF. Guter Anfang, sagt Tullner, aber dann!"Schlechte Persiflage, gefüllt mit Ereignissen,die es alle gegeben hat, aber so nicht ineinem Dorf Sachsen-Anhalts!"

Nur, um einen Star wie Milva zu besetzen,wurde eine italienische Salonkommunistin aufsDorf gesetzt, die "Hans Beimler, Kamerad"singen musste, schimpft Tullner: Unfug! Soetwas gab es höchstens in Pankow! Und derLeichnam des LPG-Chefs in der Kühlkammer,nein! Aber Herr Tullner, Sie kritisieren daein TV-Sozialmärchen! Egal, sagt der Professor."Man treibt keinen Mummenschanz mit Totenund so ernsten Dingen."
(Der Text wurde gekürzt. Die vollständige Fassung lesen Sie in der MZ-Ausgabe von Sonnabend, 20. April 2002)