Halberstadt Halberstadt: Hort der seltenen Vögel
HALBERSTADT/MZ. - "Dann gucken ihre Artgenossen von den Dächern, weil es sie interessiert, welcher Rivale da vorbeikommt", sagt der 58-Jährige, der vor einigen Jahren auch erforscht hat, dass die kleinen Vögel mit dem rostfarbenen Schwanz in der Region einen ganz eigenen Dialekt entwickelt haben. Vögel sind Nicolais Welt, seit er zur Schule ging. Später studierte er - natürlich - Biologie. Vor beinahe 30 Jahren kam er als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Halberstädter Vogelkundemuseum Heineanum. Seit 1991 ist er dessen Direktor.
Auf seinem Bürotisch stapeln sich derzeit Broschüren, Ausdrucke und Hefter - Material für eine groß angelegte Jubiläumsschrift, das noch Korrektur gelesen werden muss. Denn Großes steht an im Heineanum: Mitte Mai wird in dem Museum, das mit beinahe 19 000 Präparaten die größte Vogelsammlung in Sachsen-Anhalt beherbergt, 100-jähriges Bestehen gefeiert. Mit Festakt, Quizabend und Vogelstimmenwanderungen. Mehrere Tage lang. Viel Arbeit - vor allem, wenn man bedenkt, dass in dem Museum der Stadt heute nur noch drei Mitarbeiter beschäftigt werden: der Leiter, eine Museumspädagogin und ein Präparator.
Die Nachkommen des Sammlungsbegründers Ferdinand Heine senior (siehe "Leidenschaftlicher Vogelkundler") hatten 1907 mit der Stadt Halberstadt einen Vertrag geschlossen, wonach die wertvollen Forschungsstücke nicht länger auf dem damaligen Familiensitz, dem Halberstädter Burchardi-Gut, lagern - sondern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Dies geschah zwei Jahre später: In einem Seitenflügel des Städtischen Museums wurde das Heineanum eröffnet.
Gewinn für den Besucher
Ein modernes Museumskleinod ist aus dem Haus geworden, in dem anfangs alle montierten Präparate dicht an dicht in gleichförmig aufgereihten, riesigen Glasschränken gezeigt wurden. Heute ist nur noch ein Bruchteil der Sammlungsstücke zu sehen, was für den Besucher allerdings ein Gewinn ist. Jährlich sehen sich laut Nicolai bis zu 10 000 Menschen die Ausstellung an. Sein Kommentar: "Zu wenig."
Nahe des Eingangs kann der Besucher dem Kaiserspecht - mit bis zu 60 Zentimetern der größte Specht der Welt - ganz tief in die Augen schauen. Dabei gilt der schwarz-weiße Vogel mit der markanten roten Haube heute als ausgestorben. Einst war er im nordwestlichen Hochland Mexikos zu Hause. Der letzte sichere Nachweis stammt von 1958. Zum Bestand des Museums gehören Präparate von insgesamt sieben ausgestorbenen Arten. Und die heimischen Vögel können bis in das kleinste Detail studiert werden. Ihre Stimmen erklingen per Knopfdruck.
Die Welt der Vögel "von der Feder bis zum Broiler", wie es Bernd Nicolai nennt, eröffnet sich im Obergeschoss. Hier erfährt der Besucher etwa in einem faszinierenden Präparat, wie der Grünspecht mit seiner zwölf Zentimeter langen, klebrigen Zunge seine Beute aus einem Ameisenhaufen fischt. Oder wie wenig Platz der Buntspecht in seiner Baumhöhle hat. "Alle Exponate erklären sich von selbst", so Nicolai.
Daneben gibt es weiterführende Tafeln. "An jeder davon könnte man eine ganze Unterrichtsstunde halten", sagt er. Schulen sind in der Tat häufig zu Gast. Kein Buch kann die Vogelwelt derart anschaulich darlegen. Der optische Clou der Ausstellung wird ebenfalls in der ersten Etage präsentiert: Vor einer Vitrinenwand steht der Besucher 286 Vögeln aus der ganzen Welt gegenüber. Verschwenderisch prächtige Farben, exzentrisch anmutende Formen - diese Vögel sind ein Hingucker. Es erscheint fast unwirklich, wie phantasiereich sich die Natur herauszuputzen versteht. Dieser Teil der Schau soll dem Artenreichtum Ausdruck verleihen, sagt Nicolai. Fast alle Exponate in der Vitrine stammen von Ferdinand Heine selbst, der wohl seine wahre Freude an der Schau gehabt hätte. Sein Ururenkel Georg Heine jedenfalls sagt: "Das ist eine wertvolle Arbeit, die da im Heineanum gemacht wird." Obwohl der Niedersachse selbst kein Vogelkundler ist, engagiert er sich im Förderkreis des Museums - "um die Familientradition zu bewahren". Im Laufe der Jahre wurden andere, kleinere Sammlungen aufgekauft. Heute erhält das Heineanum vor allem durch Nachlässe oder Zufallsfunde neue Präparate, sagt Nicolai.
Magazin wird geöffnet
Zum Jubiläum werden die Besucher sogar die Schatzkammer des Museums, das Magazin, besichtigen dürfen, das sonst allein für Forschungszwecke genutzt wird und nicht nur Vogelpräparate, sondern auch Skelette, Eier- und Federsammlungen beherbergt. Nicolai öffnet - ganz in seinem Element - einen der Holzschränke, die fast bis zur Decke reichen. Heraus kommt eine Schublade mit etlichen Vögeln, die für den Laien alle gleich aussehen: Hausrotschwänze. Er nimmt ein Exemplar heraus und erkennt sofort: "Das habe ich präpariert, als ich 17 war."
Das Jubiläum wird vom 15. bis zum 19. Mai gefeiert. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.heineanum.de