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Geschichte Geschichte: Spione ohne Grenzen

Von Eva-Maria Simon 04.10.2009, 09:49

Prag/dpa. - Dies zeigt dieDokumentensammlung, die das tschechische Institut für die Erforschungder totalitären Regime derzeit auch im Internet Schritt für Schrittveröffentlicht.

Die Opfer der Spione ahnten davon meist nichts. Viele DDR-Bürgertrafen sich in der Tschechoslowakei mit Verwandten oder Freunden ausWestdeutschland. Die Reise zu einem Palatschinken in einem Kaffeehausin Karlsbad (Karlovy Vary) war für beide Seiten vergleichsweiseeinfach, DDR-Bürger benötigten kein Visum.

Grenzgebiete unter besonderer Beobachtung

In der Tschechoslowakei konnten sie dann ungestört überAusreisepläne reden - dachten sie. «Speziell in den Grenzgebieten gabes enge Agentennetze», sagt Martin Slavik, der beim tschechischenPendant zur deutschen Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen (BStU)über das Thema forscht.

Oft sei der nette Kellner ein tschechoslowakischer Spion gewesen,der jede Bewegung nach Ostberlin meldete, sagt Slavik.«Informationsaustausch» über die «Bearbeitung operativinteressierender Objekte» hieß das dann in den Dokumenten. DieseKooperationen untersucht das tschechische Forschungsinstitut seitseiner Gründung 2008 und arbeitet dabei mit der deutschen BStUzusammen.

Stasi wurde zum Vorbild für Prager Spione

Was die Forscher bereits wissen: Die Geheimdienste kooperiertenseit den 1950er Jahren. Während der Reformbewegung Prager Frühling1968 misstraute zwar in Ostberlin so mancher dem Partner, doch danachwurde die Zusammenarbeit enger und die tschechoslowakischeStaatssicherheit StB baute ein dichtes Informantennetz auf. «Dabeinahmen sie sich die DDR zum Vorbild», sagt Bernd Florath, in BerlinProjektleiter bei der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen.

Die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit inEuropa (KSZE) 1975 brachte die Geheimdienste aber in Bedrängnis.Journalisten konnten leichter reisen, und immer mehr Initiativenwendeten sich gegen Menschenrechtsverletzungen im Osten. DieGeheimdienste reagierten: «Es gab sicherlich eine Verdichtung derZusammenarbeit» sagt Walter Süß, der aus Berlin für die Bundesbehördemit Prag kooperiert.

Kirche und Opposition im Visier der Geheimdienste

Die Staatssicherheitsdienste bespitzelten Menschenrechtsgruppen,tschechoslowakische Oppositionelle in Westdeutschland oder grünePolitiker wie Gründungsmitglied Petra Kelly, sagt Süß. Wennregimekritische Gruppen aus Ost und West sich trafen, waren dieSpione nicht weit. Miroslav Lehky organisierte in den 1970er Jahrenals tschechoslowakischer Dissident in seiner Heimat geheime Treffenvon katholischen Theologen und Geistlichen aus Münster, Leipzig undGemeinden aus seinem Heimatland.

«Natürlich haben wir vorausgesehen, dass es ein Risiko gibt», sagtLehky im Rückblick. Die deutsche Stasi habe immer wieder vonReiseplänen Wind bekommen und den tschechoslowakischen KollegenBescheid gegeben. Dann war an der Grenze kein Durchkommen, sagtLehky, der die unheimliche Kooperation heute als stellvertretenderDirektor des tschechischen Forschungsinstituts untersucht.

Zum Beispiel im Fall Walter Thräne, der auf Lehkys Schreibtischeinen ganzen Ordner füllt. Der ehemalige Stasi-Offizier Thräne warmit seiner Partnerin nach Westberlin geflüchtet. Dort entführten Ost-Agenten die beiden und brachten sie über Österreich und dieTschechoslowakei zur Stasi nach Ostberlin. Ein ziemlicher Umweg, umdie Entdeckung von DDR-Spitzeln in der Bundesrepublik zu vermeiden.Deshalb halfen die Kollegen aus Prag, hat Lehky herausgefunden.

Offene Fragen nur in Moskau zu beantworten

Zurzeit untersuchen die Behörden die Rolle der Geheimdienste beider Flucht von DDR-Bürgern 1989. Doch ein wichtiges Puzzleteilvermissen Lehky und seine Kollegen noch: Die Archive des großenBruders KGB in Moskau. Solange diese gesperrt sind, bleibenentscheidende Fragen offen, bedauern die Forscher in Prag und Berlin.