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Dietmar Keller Dietmar Keller: DDR-Kulturminister auf Abruf

Von Wilfried Mommert 15.05.2012, 07:18

Berlin/dpa. - „Auch mein persönliches Versagen hat dazu beigetragen, dass unsere Idee gescheitert ist.“ - Ein Satz, den man in den Erinnerungen eines SED-Funktionärs selten liest, auch wenn es an solchen Memoiren in den letzten 20 Jahren seit dem Fall der Mauer keinen Mangel gab. Dietmar Keller, Jahrgang 1942, war 121 Tage lang in der historisch-turbulenten Zeit der Modrow-Regierung bis zur ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 DDR-Kulturminister.

Sein Buch „In den Mühlen der Ebene“, das im Titel auf Brechts Satz von den „Mühen der Ebene“ anspielt, gibt einen detaillierten, aber auch ernüchternden Einblick in die Karriere eines SED-Kulturfunktionärs. Nicht frei von Selbstrechtfertigung enthüllt Keller, wie die DDR-Hierarchie und der zentrale Parteiapparat funktionierte. Dabei wirft er auch einen Blick auf das Innenleben von SED und PDS in den turbulenten Übergangsjahren nach der Wende in Bonn und Berlin.

1984 wurde der diplomierte Marxismus-Leninismus-Lehrer und damalige Leipziger SED-Kulturfunktionär in Ostberlin zu einem der fünf Stellvertreter des Kulturministers Hans-Joachim Hoffmann ernannt. Sein neuer Chef warnte ihn damals gleich vor, wie sich Keller erinnert: „In Berlin wird scharf geschossen, die Kugeln treffen dich in der Regel in den Rücken. Wenn du noch Zeit hast, dich umzudrehen, lächeln dich alle unschuldig und freundlich und bedauernd an.“ Keller erinnert sich an „innerparteiliche Machtkämpfe, Intrigen und Winkelzüge in den Vor- und Hinterzimmern der politischen Macht“ und resümiert: „Wer Charakter hat, wird ihn in der Regel auch in der Politik nicht verlieren. Wer allerdings keinen hat, wird ihn auch in der Politik nicht gewinnen.“

Keller verharmlost, wenn er zum Beispiel von „Deformierungen“ spricht, wenn von grundlegenden Menschenrechtsverletzungen in der DDR gesprochen werden müsste - und an anderer Stelle einräumt: „Die Zensur war in der DDR allgegenwärtig. Sie betraf Wissenschaftler und Künstler, Politiker und Journalisten gleichermaßen, ein Narr, wer das leugnet.“ Deformierungen? Mit Künstlern und Schriftstellern wie Wolf Biermann oder Erich Loest aus Leipzig konnte sich Keller nie richtig anfreunden, anderen Widerständlern versuchte er jedoch tatkräftige Unterstützung zu geben.

Immerhin war es aber auch Keller, der es im Bundestag als seine „moralische Pflicht und Verantwortung“ ansah, sich „bei den Opfern der SED-Diktatur zu entschuldigen“, was in seinen eigenen PDS-Reihen nicht nur Beifall fand.

Keller hat durchaus „mit Freude, Bereitschaft und aufklärerischem Willen“ in der DDR gelebt, er habe ihr gedient und sei deswegen auch in die SED eingetreten. „Lange habe ich allerdings den Mechanismus des Machtapparates einer allein herrschenden Partei nicht richtig begriffen.“ Die langjährige Mitgliedschaft in der SED mit ihrem „demokratischen Zentralismus“ unter Ausschaltung der Meinungs- und Pressefreiheit habe „uns ziemlich widerstandsunfähig gemacht, wir wollten das nicht zur Kenntnis nehmen, keiner traute noch einem anderen“.

Mit einer gewissen Bitterkeit spricht Keller rückblickend auch von „international renommierten Künstlern“ in der DDR, „die gleich ins 'Große Haus' in die Zimmer der Macht gingen“ (Honeckers Amtssitz). Da sei es um Studienplätze für die eigenen Kinder oder die von Freunden und Bekannten, um Arztbesuche und Behandlungen in westdeutschen Krankenhäusern gegangen, um Kuren und Reisen ins westliche Ausland oder Baugenehmigungen für Feriendomizile auf der Insel Usedom. Keller: „Schwamm drüber, die Zeit heilt viele Wunden. Manchmal brechen sie aber auf: wenn die gleichen Künstlerinnen und Künstler ihr Image als Bürgerrechtler und Widerständler pflegen.“

Dass ein Buch über Kunst, Kultur und Kulturpolitik auch im Lektorat auf korrekte Schreibweisen achten sollte, versteht sich eigentlich von selbst. Das ist hier leider nicht immer der Fall. Da heißt es beispielsweise „Gewandthaus“ statt „Gewandhaus“ oder „Nicolaikirche“, wenn von der mittlerweile weltberühmten Leipziger Nikolaikirche die Rede ist.

Dietmar Keller: In den Mühlen der Ebene - Unzeitgemäße Erinnerungen, Karl Dietz Verlag, Berlin, 255 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-320-02270-9