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Denkmalschutz Denkmalschutz: «Es war Liebe auf den ersten Blick»

Von ANTONIE STÄDTER 09.09.2010, 16:49

QUEDLINBURG/MZ. - Mit Besuchern steigt Martin Michaelis gerne mal auf das Flachdach seiner Scheune mitten in Quedlinburg. Von hier oben hat man einen wunderbaren Blick auf das Fachwerkhaus aus dem 15. Jahrhundert, das zum Hof gehört - und ihn zum Schwärmen bringt. Schon als Kind, erzählt der Pfarrer aus dem thüringischen Steinach, habe er davon geträumt, einmal in einem Fachwerkhaus zu wohnen. "Man hat den Eindruck, man taucht in die Geschichte ein." 2005 haben er und seine Frau den Hof gekauft, der einst als Fuhrgeschäft diente. Hier wollen sie später ihren Ruhestand verbringen. All ihre Urlaube und all ihr Geld haben sie seither in die Sanierung des historischen Gebäudeensembles gesteckt, erzählt der 49-Jährige. Geschlafen wird derzeit noch in einer der Scheunen im Wohnwagen.

Verrußte Zimmerdecke

Dass es sich bei dem Ensemble um ein Denkmal handelt, macht die Sanierung nicht einfacher - stört Martin Michaelis aber nicht im Geringsten. Im Gegenteil. "Oft werden die Auflagen der Denkmalbehörden ja als lästig empfunden", sagt er schmunzelnd. Ihm und seiner Frau sei es aber gerade um das gegangen, was auch diese fordern: möglichst viel der authentischen Substanz und des originalen Erscheinungsbildes zu erhalten. Einen Teil des Fachwerkhauses ließen sie zum Beispiel mit Hohlpfannen decken, die einfach mit Kalk zugeschmiert wurden. "So sah bis Mitte vorigen Jahrhunderts mindestens jedes zweite Dach in Quedlinburg aus." Heute gebe es diese Dächer hier kaum noch. Und als sie entdeckten, dass die Küche im Untergeschoss eine völlig verrußte Zimmerdecke hat, stand schnell fest: Auch sie werden hier - jedenfalls bei besonderen Gelegenheiten - mit offenem Feuer kochen.

Natürlich habe es mit der Stadt und den Denkmalbehörden anfangs auch Diskussionen über ihr Konzept gegeben, erzählt das Ehepaar. Aber problematisch seien andere Dinge gewesen. Zum Beispiel, überhaupt Handwerker zu finden, die alte Techniken noch beherrschen - auch, wenn diese längst kaum noch nachgefragt werden.

Oder die Sache mit den Norm-Vorschriften: "Wir mussten die Firmen erst einmal davon überzeugen, dass sie manches, was darin gefordert wird, nicht machen." Natürlich nicht bei Dingen wie der Statik. Doch beispielsweise wollten sie auf chemischen Holzschutz verzichten - und mussten die Firmen daraufhin aus der Gewährleistung entlassen. Solch eine Sanierung kostet. Bislang seien etwa 400 000 Euro hinein geflossen, so Michaelis. "Ohne Fördermittel wäre uns das nicht möglich gewesen."

Küche und Bad fehlen

"Man muss viel Idealismus aufbringen", sagt auch Adrian La Salvia, der erst vor wenigen Wochen von der Gemeinde Vockerode (Kreis Wittenberg) die Alte Schule im Ort gekauft hat. Weil das Gebäude aus dem Jahr 1902 noch nie bewohnt war, müssen Küche und Bad erst eingebaut werden - selbstverständlich dem Denkmal angemessen. Oder die Fenster: Sie müssen ausgetauscht werden - "aber natürlich nicht mit irgendwelchen Plastikfenstern". Das würde zum neogotischen Baustil und den filigranen Verzierungen am Gebäude, das mit der daneben stehenden Kirche ein architektonisches Ensemble bildet, gar nicht passen. Spezialanfertigungen müssen her. Doch: "Es war Liebe auf den ersten Blick", erzählt der Literaturwissenschaftler, der auf das bereits seit einigen Jahren leer stehende Gebäude durch die Denkmalbörse aufmerksam geworden war. Oben möchte er einziehen, das Untergeschoss will er als eine Art Kulturzentrum nutzen - wo etwa die Treffen von Übersetzern von Gegenwartsliteratur stattfinden könnten, die er regelmäßig organisiert. Vielleicht auch öffentliche Lesungen. "Mein Traumhaus", sagt der gebürtige Dresdner, der momentan in Erlangen lebt.

Auf dem Hof in Quedlinburg kommt Familie Michaelis an manchen Tagen kaum zum Arbeiten. "Weil ihn sich oft Interessierte anschauen wollen", berichtet Christine Michaelis. Das Tor steht ja offen. Ganz bewusst: "Uns ist es wichtig, den Hof der Öffentlichkeit zugänglich zu machen", so die Kantorin. Zu entdecken gibt es vieles. So steht in einer der Scheunen eine Kaltmangel, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet wurden. Sie soll künftig zum Einsatz kommen. Im Seitenflügel des Wohnhauses ließ die Familie eine Bohlenstube einsetzen - die Idee eines Experten vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie.

Sie stammt aus einem Umgebindehaus in Thüringen, das abgerissen werden musste. Auch eine kleine Orgel, die sie günstig im Internet gefunden haben, soll eingebaut werden - für die Hausmusik. Gerade ist sie beim Restaurator.

Das Fachwerk-Ensemble von Familie Michaelis in der Straße Hölle 10 in Quedlinburg kann am Sonntag zum Denkmaltag von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden.