Das Tagebuch der Anne Frank Das Tagebuch der Anne Frank: Zur Lektüre empfohlen

Halle (Saale) - Vor 70 Jahren, Anfang März 1945, starb Anne Frank im Alter von 15 Jahren im KZ Bergen-Belsen an Typhus.
Weltberühmt wurde das jüdische Mädchen durch sein Tagebuch, in dem es über das schwierige Leben seiner Familie auf engstem Raum im Versteck vor den Nazis berichtet hat. In der DDR lernten es die meisten Schüler nur in kurzen Auszügen kennen, die im Deutschbuch der 7. Klasse zwischen 1968 und 1984 veröffentlicht wurden. Darin beschreibt Anne die britischen Luftangriffe auf Amsterdam im Jahre 1943 sowie die schwierige Versorgungslage der Untergetauchten.
Kein Pflichtstoff
„In der Schule in der DDR war das Tagebuch kein Pflichtstoff, sondern konnte zusätzlich behandelt werden. Einige Lehrer haben das gemacht, andere nicht“, sagt die Potsdamer Literaturwissenschaftlerin Sylke Kirschnick, Autorin des Buches „Anne Frank und die DDR“. Woher Anne Frank kam, warum sie und ihre Familie nach Amsterdam geflohen waren und sich dort verstecken mussten, was es mit Judentum und Antisemitismus auf sich hatte - darüber erfährt man im Deutschbuch so gut wie nichts.
In einer Neuauflage von 1985 verschwinden die Tagebuchauszüge dann ganz. Bei den Prüfungen im Fach Deutsch ist das Tagebuch kein Thema. „Wir hatten es nicht vollständig gelesen, weil es nicht genügend Exemplare gab“, sagt die ehemalige Magdeburger Deutschlehrerin Inge Poetzsch. In der DDR erschienen acht Auflagen, die Zahl der Exemplare lag dabei zwischen 5.000 und 40.000.
"Das Tagebuch der Anne Frank" als Theaterstück
Bekannter als das Buch ist Kirschnick zufolge das 1956 erstmals in Dresden aufgeführte Theaterstück „Das Tagebuch der Anne Frank“. Während das Stück ein Aufruf zu Mitmenschlichkeit und Frieden ist, sind die Programmhefte eine Anklage gegen die Bundesrepublik, in der es immer noch Antisemitismus gebe und die Nazis führende Stellungen in Wirtschaft und Politik einnähmen.
„Dieser Vorwurf war berechtigt, doch er lenkte davon ab, dass auch in der DDR Nazis wieder Karriere gemacht hatten und es noch Judenfeindschaft gab“, sagt Kirschnick. Sie druckt Briefe von jungen Leuten aus der DDR an Annes Vater Otto Frank ab wie den einer Jüdin aus Crimmitschau von 1958: „Ich muss Ihnen meinen Dank aussprechen, dass Sie das Tagebuch veröffentlicht haben, denn es gibt noch sehr viele Menschen, die das an den Juden begangene Unrecht nicht glauben wollen, oder es schon wieder vergessen haben.“ Auch die häufige Gleichsetzung von Judentum mit dem Staat Israel habe die Behandlung des Tagebuchs in der Schule nicht gerade begünstigt.
Briefe an Otto Frank
Schüler und Lehrer zeigen sich nach Theateraufführungen oft tief beeindruckt wie diese 14-jährige Schülerin aus Halle, die 1958 an Otto Frank schreibt: „Tief erschüttert über ihr furchtbares Los, das da auf der Bühne vor mir abgerollt war, verließ ich das Theater. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß sich das alles in Wirklichkeit einmal abgespielt hat.“ Ein 37-jähriger Lehrer, durch dessen Initiative in Tessin bei Rostock eine der ersten Schulen in der DDR nach Anne Frank benannt wird, berichtet unter dem Eindruck des Stückes 1959: „Man ist zwar durch die Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsereignisse recht hartgesotten, aber diese Szenenfolge war so ergreifend, dass sich die Tränen nicht zurückhalten ließen. Und – mir ging es nicht alleine so!“
Tagebuch ist kein Pflichtstoff in Schulen
Im Westen war das Tagebuch nicht selten Anstoß, sich mit der Geschichte der Juden in der eigenen Stadt zu beschäftigen. „Bei uns war das nicht so, denn es fehlte das Detailwissen über die Geschichte Magdeburgs zu DDR-Zeiten“, so die Lehrerin Inge Poetzsch. Kirschnick wundert das nicht: „Erst nach 1989 fand eine lokale Aufarbeitung im Osten statt.“ Heute wird die Lektüre des Tagebuchs in den Lehrplänen aller Bundesländer empfohlen, nirgendwo ist es Pflichtstoff. Sylke Kirschnick: Anne Frank und die DDR. Ch. Links Verlag, Berlin, 200 Seiten, 24,90 Euro (mz)