Folgen des Brexit Folgen des Brexit: Der Euro-Zone könnte eine Rezession drohen
Berlin - Tritt Großbritannien aus der EU aus? „Das ist das Risiko des Jahres“, so Holger Schmieding von der Berenberg Bank. Noch haben die Briten nicht abgestimmt. Doch an den Finanzmärkten herrscht schon Aufregung. Wie ein Seismograph reagieren Wechselkurse, Anleihen und Aktien auf Umfragen. Das Aufholen der EU-Gegner lässt das britische Pfund sinken, Anleger suchen Sicherheit, kaufen japanische und deutsche Staatsanleihen, verkaufen riskante Aktien. Damit sind die Finanzinvestoren in ihrem Element. Denn was mit der Wirtschaft Europas nach einem EU-Austritt geschehen wird, ist pure Spekulation. Brexit-Befürworter versprechen den Briten Freiheit von Brüsseler Regulierung, zudem spare das Land Milliarden Unions-Beiträge. Die Mehrheit der Ökonomen jedoch warnt: Ein Austritt würde teuer für beide – die Briten und den Rest Europas. Londons Stellung als Finanzzentrum wäre gefährdet. „Ein Brexit würde keine Gewinner kennen“, warnt Stefan Bielmeier von der DZ-Bank.
Währung:
UK: Die Finanzmärkte haben das britische Pfund in den vergangenen Monaten bereits kräftig fallen lassen. Befürchtet wird im Falle des Brexit ein Kapitalabfluss aus Großbritannien, Störung der Lieferketten, erhöhte Unsicherheit und schwächeres Wirtschaftswachstum. Stimmen die Briten gegen die EU, so würde das Pfund kurzfristig wohl um weitere zehn bis 20 Prozent schwächer werden. Das verteuert die Importkosten.
EU: Das Pfund fällt, spiegelbildlich wertet der Euro gegenüber der britischen Währung auf. Mit einem Brexit wäre allerdings das Fundament der EU erschüttert. Daher würde der Euro gegenüber dem US-Dollar und dem japanischen Yen voraussichtlich ebenfalls abwerten. Da das Anlagerisiko in Europa steigen würde, sind Turbulenzen an den Finanzmärkten und steigende Zinsen wahrscheinlich. Die Euro-Zentralbank hat bereits angekündigt, im Falle eines Brexit alles zu tun, um die Stabilität zu gewährleisten.
Exporte:
UK: Wie sich Konjunktur, Exporte und Investitionen nach einem Brexit entwickeln würden, hängt stark davon ab, ob Großbritannien im Anschluss ein Freihandelsabkommen mit der EU schließen könnte und wie dies aussehen würde. Kapitalflucht und schwächeres Wirtschaftswachstum dürfte britische Unternehmen in den nächsten drei Jahren bis zu 40 Milliarden Euro an Exporten kosten. „Großbritannien bräuchte mindestens zehn Jahre, um die durch einen Brexit entstehende Lücke bei den Exporten zu schließen“, prognostiziert Ana Boata vom Kreditversicherer Euler Hermes.
EU: Das schwächere britische Pfund und geringeres Wirtschaftswachstum auf der Insel treffen auch die Exportfirmen in der Euro-Zone. Ein Brexit würde die gesamten Ausfuhren der Währungsunion wohl in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro in den nächsten Jahren mindern. Dies entspräche einem Rückgang von einem halben Prozent. In Deutschland litten vor allem die Autozulieferer und Maschinenbauer.
Schlag für die deutsche Konkunktur
Investitionen:
UK: Großbritannien ist auf der einen Seite ein Magnet für ausländische Investitionen, von denen der Großteil aus dem Rest der EU kommt. Zum anderen ist es selbst ein großer Investor. Ein Brexit würde die Unsicherheit erhöhen und Investitionsströme drosseln. Denn viele Unternehmen legen Geld in Großbritannien an, da von dort aus die ganze EU bedient werden kann. Dieser Standortvorteil fiele bei einem Brexit weg. „Die Firmen würden unweigerlich ihre langfristigen Investitionsentscheidungen überdenken“, so Paul Kahn, Chef von Airbus Großbritannien.
EU: Dass Großbritannien durch einen Brexit als Investor geschädigt würde, trifft den Rest Europas. Die ausländischen Direktinvestitionen in die Euro-Zone könnten bis 2019 um mehr als 30 Milliarden Euro zurückgehen. Dies entspräche einem Minus von knapp zwei Prozent. Mittelfristig jedoch hat die Währungsunion die Chance, jene Investitionsmilliarden anzuziehen, die sich aus Großbritannien zurückziehen. Mögliche Gewinner sind laut Kreditversicherer Euler Hermes die Branchen Pharma, Elektronik und Finanzen in Irland, der Auto-Sektor in Spanien und Osteuropa sowie die Maschinenbauer in Deutschland und Italien.
Konjunktur:
UK: „Die Kosten eines Brexit wären für Großbritannien immens“, so die Bank Sal. Oppenheim. Gelingt London ein Freihandelsabkommen mit der EU, so könnten die Verluste beim Wirtschaftswachstum zwischen 2017 und 2019 wohl auf drei Prozentpunkte begrenzt werden. Andernfalls läge der Wachstumsverlust eher bei über vier Prozent. Der Kreditversicherer Euler Hermes erwartet 1500 bis 1700 zusätzliche Unternehmenspleiten. Eine Studie des britischen Finanzministeriums geht davon aus, dass die britische Wirtschaft im Jahr 2030 um drei bis sieben Prozent kleiner ist, als sie es ohne Brexit gewesen wäre.
EU: Die Verluste für den Rest der EU dürften geringer sein. Bis 2019 fällt das Wachstum der Euro-Zone wohl um etwa ein halbes Prozent niedriger aus. Grund hierfür sind vor allem die geringeren Exporte nach Großbritannien. Besonders betroffen wären die Niederlande und Irland, die enge Verbindungen zu Großbritannien haben. Aber auch die deutsche Konjunktur leidet: Das Münchener Ifo-Institut hält einen Wachstumsverlust für Deutschland von drei Prozent der Wirtschaftsleistung für möglich. Das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW warnt sogar vor einer Rezession in der Euro-Zone.
Finanzplatz:
UK: Bislang ist London einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt. Die Experten sind sich uneins, ob die City diese Stellung im Fall eines Brexit halten könnte. Zwar hat London viele Wettbewerbsvorteile wie Sprache, qualifizierte Arbeitskräfte und Regulation. Für viele Finanzanleger ist es jedoch als Zugang zum Rest der EU von Bedeutung. Zudem würde einem EU-Austritt eine längere Phase der Unsicherheit folgen. Und schließlich ist unsicher, ob die Briten noch von der günstigen Refinanzierung durch die Euro-Zentralbank profitieren würden. „Vor allem ausländische Banken könnten Teile ihrer Aktivitäten verlagern“, so ein Bericht des britischen Parlaments. Zehntausende von Finanz-Jobs seien dann in Gefahr.
EU: Viele Banken Europas haben ihre Aktivitäten in London gebündelt, um von hier den gesamten EU-Markt zu bearbeiten. Einige Ökonomen rechnen damit, dass die Finanzhäuser bis zu ein Drittel ihres Geschäfts aus London abziehen könnten. Ob davon die nächstgrößeren europäischen Finanzplätze – Paris und Frankfurt – profitieren würden, ist unklar. Insbesondere US-Firmen dürften eher nach New York oder Dublin abwandern.