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Interview mit Günter Burkhardt Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt: Anis Amri wäre auch mit einer elektronischen Fußfessel Laster gefahren

Von Tobias Peter 19.05.2017, 15:15
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, kritisiert die Verschärfung des Asylrechts.
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, kritisiert die Verschärfung des Asylrechts. dpa

Berlin - Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, kritisiert, die Bundesregierung stelle Asylsuchende unter Generalverdacht. Einen Zugewinn an Sicherheit sieht er durch die neuen Regelungen nicht.

Herr Burkhardt, die Bundesregierung will mit ihrem Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht das Signal setzen, dass sie etwas für die Sicherheit in Deutschland tut. Deckt sich diese Darstellung aus Ihrer Sicht mit der Realität?

Ich halte das für eine an Täuschung grenzende Öffentlichkeitsarbeit. Wir alle haben sehen müssen, dass Anschläge in der Vergangenheit auch auf anderem Weg – nämlich mit dem jetzt geltenden Rechtssystem – hätten verhindert werden können, ja müssen. Das ist nicht geschehen. Stattdessen schafft man jetzt ein Gesetz, das darauf abzielt, alle Flüchtlinge in den Erstunterkünften bis zu zwei Jahre lang zu isolieren. Hier wurde also ein Vorwand genommen, um andere Ziele zu verwirklichen.

Was meinen Sie damit?

Solange die Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen sind, ist aus unserer Sicht der Kontakt zu Beratungsstellen und Ehrenamtlern drastisch erschwert. In dieser Zeit läuft aber das Asylverfahren. Auf diese Weise gibt es geringere Chancen, Fehlentscheidungen der Behörden zu korrigieren. Schutzsuchende kommen so unter die Räder. Es geht der Regierung also gar nicht um Sicherheit, sondern darum, Menschen möglichst leicht wieder aus dem Land zu bekommen. Mit dem Abbau von Menschen- und Flüchtlingsrechten kann man keinen Terrorismus bekämpfen.

Wie beurteilen Sie den langen Verbleib in der Erstaufnahmeeinrichtung integrationspolitisch?

Das ist eine Katastrophe. Es führt dazu, dass man die Kontakte zur Bevölkerung verhindert. Die deutsche Sprache aber lernt man natürlich auch im Alltag. Aus dieser Politik der Isolierung resultiert ein großer Schaden für das dauerhafte Zusammenleben. Daran sollte niemand ein Interesse haben. Zum Zweck der erfolgreichen Integration müsste vielmehr ein schneller Auszug aus der Erstaufnahmeeinrichtung angestrebt werden, flankiert von weiterer Unterstützung für die Flüchtlinge. Was die Bundesregierung jetzt vorhat, ist das genaue Gegenteil davon.

Viele reisen ohne Ausweisdokumente ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf nun die Handydaten untersuchen. Ist das verhältnismäßig?

Wir befürchten, dass mit diesem Gesetz die Rechtsgrundlage entstehen soll, um den gläsernen Flüchtling zu schaffen. Das massenhafte Auslesen von Handy-Daten der Flüchtlinge ist aus unserer Sicht verfassungswidrig, unverhältnismäßig  und verstößt gegen die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Man stellt zudem praktisch Asylsuchende unter Generalverdacht, sie würden täuschen.

Es gibt allerdings auch neue Regelungen, die in erster Linie der Sicherheit dienen sollen. Was spricht dagegen, wenn eine elektronische Fußfessel für eine Person angeordnet wird, von der eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit ausgeht? Viele Menschen fragen: „Müssen wir denn immer erst abwarten, bis eine Straftat begangen wird?“

Nehmen Sie den Fall von Anis Amri, der den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz begangen hat. Eine elektronische Fußfessel hätte seine Tat nicht verhindert – er wäre dann nur mit einer elektronischen Fußfessel Laster gefahren. Es gab nach geltendem Recht genügend Gründe zur Inhaftierung. Im Übrigen ist das Gesetz nebulös in der Frage, wer überhaupt als eine Gefahr für andere Menschen einzustufen ist. Der Rechtsstaat begibt sich mit diesem Gesetz auf Glatteis. Wir dürfen Asylrecht nicht mit Strafrecht vermischen. Hier werden elementare rechtstaatliche Grundsätze aufgeweicht.

Auch die Möglichkeiten der Abschiebehaft gegen so genannte Gefährder soll ausgeweitet werden. Lässt sich auf diese Weise ein Fall wie der von Amis Amri künftig verhindern?

Der politische Umgang mit dem Fall Amri ist so erschreckend wie aufschlussreich. Statt das Versagen der Sicherheitsbehörden zu reflektieren, wird eine asylpolitische Debatte vom Zaun gebrochen. Die Behörden müssen erklären, warum sich ein potentieller Straftäter monatelang in ganz Deutschland ohne Meldeauflagen und Abschiebungsanordnung bewegen konnte. Es ist bereits doch auch bislang möglich, die Bewegungsfreiheit räumlich zu begrenzen. Es gab Versäumnisse, es ist nicht alles getan worden. Stattdessen gibt es gesetzgeberischen Aktionismus.

Das Gespräch führte Tobias Peter