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Interview zur Organspende Organspende: "Die Menschen haben kein Vertrauen in das Vergabesystem"

Von Timot Szent-Ivanyi 25.01.2018, 11:02
Ein Organspendeausweis.
Ein Organspendeausweis. dpa

Köln - Im Interview spricht Wolfram Höfling, Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität Köln und Mitglied im deutschen Ethikrat über die niedrige Zahl der Organspender in Deutschland, was die Politik daran ändern könnte und welche Organspende-Systeme in anderen Ländern Erfolg haben.

Herr Professor Höfling, die Zahl der Organspender hat ein historisches Tief erreicht. Alle Reformen nach dem Skandal um manipulierte Wartelisten haben offensichtlich nichts gebracht. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Wolfram Höfling: Ein wesentlicher Grund ist, dass die Menschen kein Vertrauen in das Organvergabesystem haben. Die Reformen waren unzureichend. Die Strukturen sind nach wie vor undemokratisch und intransparent. Ein kleiner Zirkel von Funktionären der Bundesärztekammer hat das System in der Hand, von der Bestimmung der Regeln für die Wartelisten und die Organvergabe bis hin zur Überwachung. Es gibt letztlich keine staatliche Kontrolle und kaum Möglichkeiten, Entscheidungen juristisch anzufechten. Stattdessen herrscht zum Teil Willkür.

Das müssen Sie begründen.

Bei der Entscheidung, ob ein Schwerstkranker auf die Warteliste kommt und wann er ein neues Organ erhält, geht es um Leben und Tod. Die Festlegung der entsprechenden Regeln hat die Politik aber der Bundesärztekammer übertragen, einem privatrechtlich organisierten Verein. Der macht nun das, was er für richtig hält.

Beispiel Leber: Früher galt, dass das Kriterium der Erfolgsaussicht bei einer Transplantation höher gewichtet wurde als das der Dringlichkeit. Durch eine Änderung der Richtlinie wurde das Verhältnis umgedreht. Das ist nicht prinzipiell fragwürdig. Aber es ist nicht hinnehmbar, dass ein privater Verein darüber bestimmt, wer leben darf und wer stirbt.

Aber ist das Willkür?

Ich nenne Ihnen ein besonders anschauliches Beispiel: Für die Regelung, wonach ein Alkoholiker nur dann auf die Warteliste für eine Lebertransplantation kommt, wenn er mindestens sechs Monate trocken ist, gibt es keine medizinisch tragfähige Begründung. Hier scheint eher die Absicht einer Bestrafung eine Rolle zu spielen. Diese Diskriminierung von Alkoholkranken ist verfassungswidrig, was inzwischen auch der Bundesgerichtshof so entschieden hat. Sie bedeutet im Zweifel ein Todesurteil für die betroffenen Patienten.

Was muss geändert werden?

Es geht um grundlegende Gerechtigkeitsfragen, die das Parlament entscheiden muss. Natürlich kann der Gesetzgeber nicht alle Details regeln. Aber er muss zum Beispiel die Frage beantworten, ob Dringlichkeit oder Erfolgsaussicht höher bewertet wird.

Schließlich handelt es sich um gegenläufige Kriterien: Wer sehr krank ist und dringend ein neues Organ benötigt, wird im Zweifel eine geringere Überlebenschance haben als jemand, der nicht so krank ist und damit noch nicht so schnell ein Organ braucht. Das Parlament muss darüber hinaus den Rechtsschutz regeln. Bei diesen und weiteren Aspekten kann es sich an der Schweiz ein Beispiel nehmen.

Wer soll die Details regeln?

Das sollte eine staatliche Einrichtung sein, die möglichst weit entfernt vom eigentlichen Transplantationssystem ist. Diese könnte beispielsweise beim Robert-Koch-Institut angegliedert werden. Dass dabei transplantationsmedizinischer Sachverstand einbezogen werden muss, ist selbstverständlich.

Sie sagten, es sei kaum möglich, gegen Entscheidungen im Zusammenhang mit Wartelisten zu klagen.

Ich erinnere an den Fall einer Frau, die auf eine Spenderniere wartete, aber von der Warteliste genommen wurde, weil sich der behandelnde Arzt über eine E-Mail des Ehemanns geärgert hatte. Das Münchener Verwaltungsgericht hat nach der Klage der Frau in dieser lebensbedrohlichen Situation 13 Monate gebraucht, um zu klären, ob es zuständig ist. Todkranke sind solchen Willkürakten der Ärzte schutzlos ausgeliefert.

Ist denn wenigstens die Aufklärung der Patienten besser geworden?

Die oftmals nur oberflächlichen Informationen der Deutschen Stiftung Organtransplantation und der Krankenkassen sind unzureichend. Da werden viele Millionen Euro sinnlos investiert. Der Deutsche Ethikrat hat etwa nachdrücklich darauf hingewiesen, dass völlig ungeklärt ist, unter welchen Umständen schon vor Feststellung des möglicherweise bald eintretenden Hirntodes eine weitere Behandlung eines Patienten allein im Interesse des Erhalts der Funktionsfähigkeit seiner Organe für eine spätere Transplantation erlaubt ist.

Dieses Problem wird schlicht ignoriert. Das führt dann auch dazu, dass aus Unkenntnis viele Patientenverfügungen eine eigentlich gewollte Spende verhindern, weil dort lebensverlängernde Maßnahmen ausgeschlossen werden.

Einzelne Politiker wie Karl Lauterbach von der SPD fordern als Ausweg aus dem Organspende-Tief die Einführung der Widerspruchslösung wie in Spanien, wo es wesentlich mehr Spender gibt. Jeder Bürger müsste dann ausdrücklich einer Organspende widersprechen, wenn er sie ablehnt.

Das ist leider nur ein Beispiel für das traurige Niveau der deutschen Debatte. Lauterbach müsste es besser wissen: Spanien hat nicht nur ein zentral organisiertes staatliches Transplantationswesen mit effektiven Werbekampagnen. Dort gilt zudem, dass auch Patienten mit sogenanntem Herztod Organe entnommen werden dürfen. Das ist bei uns verboten.

Aber was spricht dagegen, die Menschen zu zwingen, sich mit der Organspende auseinander zu setzen?

Verfassungsrechtlich wäre das auf der Grundlage einer wirklich fundierten Aufklärung möglich. Ich warne aber davor. Es würde die Bevölkerung noch weiter verunsichern und zu neuen Widerständen führen. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte bestehen große Vorbehalte gegenüber eine staatlichen Verfügungsmacht über den menschlichen Körper. Eine parlamentarische Mehrheit sehe ich ohnehin nicht.

Möglich wäre auch eine Lösung wie in Israel. Dort werden Menschen, die sich zur Organspende bereit erklären, bevorzugt, wenn sie einmal ein Spenderorgan benötigen. Seitdem steigt dort die Bereitschaft.

Auch das würde das Grundgesetz erlauben, wenn es Regelungen für Menschen gibt, die aus gesundheitlichen Gründen keine Organe spenden können. Aber auch hier gilt: Wir müssen zuerst die Systemfehler beheben durch eine grundlegende Neuordnung der deutschen Transplantationsmedizin, um das Vertrauen zurückzuerlangen. Alles andere lenkt nur von den eigentlichen Problemen ab.