Herbert Wehner Herbert Wehner: Der Fels suchte ein brandendes Meer
Berlin/Dresden/MZ. - Unvergessen sind die Gespräche, die Herbert Wehner als SPD-Fraktionsvorsitzender (1969-1983) hin und wieder mit Bonner Journalisten führte - meist in den frühen Morgenstunden. Er biss auf seine Pfeife, konnte beängstigend lange schweigen, um dann seine gefürchteten Stakkato-Sätze herauszupressen. Kritische Nachfragen unterblieben - der Respekt vor dem großen, alten Mann der SPD ließ solches einfach nicht zu. Ein Journalist vom SPD-Pressedienst näherte sich ihm einmal auf besonders devote Weise: "Genosse Wehner, du bist wie ein Fels in der Brandung." Wehner sog an seiner Pfeife und antwortete: "Bloß - das Meer" - lange Pause - "fehlt."
Seine Wutausbrüche waren legendär. Gezielt setzte er sie ein gegen Freunde und Gegner, um sich im nächsten Augenblick schon wieder friedfertig wie ein Lamm aufzuführen. Dutzendfach wurde er für seine giftigen Zwischenrufe im Parlament gerügt, wenn er zum Beispiel dem CDU-Rechtsaußen Jürgen Todenhöfer absichtsvoll ein "Herr Hodentöter" entgegenschleuderte.
Der Mann mit dem vulkanischen Temperament wusste, was er wollte: Durch das Vorantreiben des Godesberger Parteiprogramms (1959) und seine Pro-Nato-Rede 1960 ebnete er der SPD den Weg in die Große Koalition (1966 bis 1969) unter Kanzler Kurt-Georg Kiesinger. Die sich daran anschließende sozial-liberale Koalition (1969-1982) lehnte er zunächst wegen ihrer knappen Mehrheitsverhältnisse ab. Dass sie dennoch 13 Jahre hielt, ist wesentlich sein Verdienst.
Der Erhalt der Regierungsverantwortung war ihm wichtiger als persönliche Loyalitäten. 1972, beim Versuch von CDU-Chef Rainer Barzel, Willy Brandt durch Misstrauensvotum zu stürzen, kämpfte Wehner mit bis heute nicht ganz geklärten Mitteln als vorderster Brandschutzhelfer. Bereits ein Jahr später ging er auf brutalen Gegenkurs und urteilte in Moskau über Brandt so: "Dieser Herr badet gern lau." Auch ohne die Spionage-Affäre Guillaume 1974 hätte Wehner wohl den Wechsel von Brandt zu Helmut Schmidt angepeilt. Trotzdem war Wehner kein kalter Machtmensch - ganz im Gegenteil. In seinem Büro türmten sich die Aktenordner über die deutsch-deutschen Kontakte. Durch persönliche Eingaben - oft in Verbindung mit dem SED-Funktionär Erich Glückauf - mühte sich Wehner um Ausreise-Genehmigungen für DDR-Bürger. Dass er im Bemühen um "menschliche Erleichterungen" so erfolgreich war, hängt mit seiner enormen Ausstrahlung auf die kommunistische Gegenseite zusammen.
Wehner war trotz seiner Abkehr von der KPD nicht zum Kommunistenhasser geworden. Besonders zeigte sich das im Umgang mit den polnischen Kommunisten. In Gesprächen mit der polnischen KP-Spitze war stets ein einfühlsam-verständnisvoller Wehner zu erleben: Wehner konnte die Zeit der "Partei-Säuberung" in den 30er-Jahren im Moskauer Emigranten-Hotel "Lux" nicht vergessen, als Stalin die komplette Führung der polnischen Kommunisten umbringen ließ.
An Altersdemenz leidend ist Herbert Wehner im Januar 1990 gestorben. Er liegt auf dem Bad Godesberger Burgfriedhof begraben.