Sarah Kuttner auf Lesetour Sarah Kuttner auf Lesetour: Ein Mensch der sich selbst nicht leiden kann

Nach Mängelexemplar und Wachstumsschmerz hat Moderatorin Sarah Kuttner Anfang dieses Jahres ihren dritten Roman veröffentlicht: „180° Meer“.
In dessen Mittelpunkt steht Jule. Eine Frau, die nicht so recht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. In ihrem Job als Gelegenheitssänger geht sie nicht auf. Obwohl sie ihren Freund eigentlich ganz gern hat, betrügt sie ihn und mit ihrer selbstmordgefährdeten, unter Depressionen leidenden Mutter gerät sie ständig aneinander. Sie beschließt, für den Moment alles hinter sich zu lassen und zu ihrem Bruder nach England zu fliehen. Dort trifft sie jedoch bald auf ihren Vater, der die Familie einst verlassen und – nach Jules Empfinden – im Stich gelassen hat.
Ab Oktober tourt Sarah Kuttner mit 180° Meer durch ganz Deutschland und liest in 14 Städten aus ihrem neuen Roman. Am 27.Oktober ist sie zu Gast im Werk 2 in Leipzig. Die Mitteldeutsche Zeitung hat zuvor mit der Moderatorin gesprochen.
Haben Sie überhaupt Zeit zum Lesen?
Kuttner: Ich arbeite weniger, als alle Leute immer denken. Wenn man Fernsehen macht, dann werden die Sendungen oft hintereinander weg aufgezeichnet. Dazwischen entstehen dann immer schöne Pausen. Ich war außerdem dieses Jahr im Frühling viel unterwegs für die Lesereise und bin das dann wieder im Herbst und Winter. Den Sommer hatte ich dafür komplett frei. Das ist schon ein sehr luxuriöser Alltag, den ich sehr zu schätzen weiß.
Also ja: eigentlich habe ich Zeit um zu lesen, dennoch lese ich weniger als mir lieb ist, weil in den letzten Jahren diverse Serien dazwischengekommen sind und das ist so ein bisschen gefährlich, weil man dann eben wahnsinnig viel glotzt, was ich gar nicht so gut finde. Wenn man liest, vergeht die Zeit in einer ganz anderen Qualität, als wenn man Serien guckt. Ich denke, ich werde also mal wieder mehr lesen.
Welche Bücher haben Sie geprägt?
Kuttner: Geprägt haben mich Bücher nicht. Mich haben Bücher immer unterhalten oder berührt, aber nie geprägt.
Wie kamen Sie zum Schreiben?
Kuttner: Ich konnte, glaube ich, schon immer ganz gut schreiben. Im Sinne von Briefe an Freunde. Und dann habe ich irgendwann Kolumnen geschrieben. Das lief auch gut. Ich hatte aber das Gefühl, dass ein Roman irgendwie zu groß ist, dass ich das nicht kann und habe es deswegen nie versucht. Dann beschäftigte mich irgendwann das Thema Angststörungen und Depressionen, weil es in meinem privaten Umfeld auf einmal so stark da war, und so entstand „Mängelexemplar“. Ich hatte einen recht entspannten Sommer, da habe ich mich hingesetzt und es einfach versucht. Ich habe es ganz heimlich aufgeschrieben, weil ich erstmal keinen Druck haben wollte und so kam das.
Wie entstand die Idee zu 180° Meer? Kam diese auch aus Ihrem Umkreis?
Kuttner: Nein. Ich hatte irgendwann mal die Idee im Kopf über einen Menschen zu schreiben, der sich selbst nicht leiden kann. Ich fand das interessant und ein Leben unter diesen Umständen schwer vorstellbar. Die Idee hatte ich schon vor Jahren, hatte aber nie recht die Zeit oder Muße mich damit zu beschäftigen. Dann habe ich mich vor anderthalb Jahre einfach hingesetzt und es wieder versucht. Und so entstand dann eben„180° Meer“.
Haben Sie sich zum Schreiben eine Auszeit genommen?
Kuttner: Nein. Ich hatte in dem Winter vor anderthalb Jahren tatsächlich gerade Zeit und ich schreibe eh relativ schnell. Dieses Mal war ich ein bisschen faul und habe es in die Länge gezogen. Es hat trotzdem nur ein halbes Jahr gedauert. Das erste Buch habe ich in zwei Monaten durchgeschrieben, was auch zu schaffen ist, wenn man eine Geschichte und Zeit hat. Wenn man jeden Tag fünf, sechs, sieben Seiten schreibt, kann man ein Buch auch in der kurzen Zeit schaffen. Insofern blocke ich mir die Zeit nicht. Und wenn ich nebenbei gearbeitet habe, habe ich gearbeitet und weitergeschrieben, wenn ich Zeit hatte.
Man hat beim Lesen Ihres Buches das Gefühl, Sie sprechen zu hören. Wieso haben Sie sich für die gesprochene Sprache entschieden?
Kuttner: Ich habe mich dafür nicht entschieden. Ich habe einfach aufgeschrieben, ich kann das nicht beschreiben. Ich habe mir keine bestimmte Tonalität ausgesucht. Und ein Buch schreiben ist ja etwas erzählen. Wieso sollte ich das nicht so erzählen, wie ich es mündlich erzählen würde. Alles andere finde ich sogar eher ein bisschen affektiert. Ich kenne Menschen, die Bücher schreiben, bei denen ich mir dachte: „So bist du doch aber gar nicht.“ Die sich extra eine literarische Sprache herbeizaubern. Ich bin nicht so Fan davon. Das ist eine Form von Fake, die ich unattraktiv finde.
Ich finde es authentischer so zu sein und eben auch zu schreiben, wie man ist, wie es sich natürlich anfühlt.
Lesen Sie Rezensionen Ihrer Bücher?
Kuttner: Ich mache den Fehler immer am Anfang, wenn ein neues Buch rauskommt. Da bin ich immer ganz euphorisch und denke: „Ach, mein Buch gefällt mir selbst so gut, das müssen doch alle gut finden.“ Das ist natürlich furchtbarer Quatsch. Und dann liest man eine Rezension, die vernichtend ist und dann fällt einem ein: „Ach nee ok.“ Die Leute finden es halt immer zur Hälfte kacke und die andere Hälfte findet’s gut. Und mich verletzt es und kriegt es aber relativ stark. Und dann höre ich damit sofort wieder auf.
Wird es Nachschub geben?
Kuttner: Nachschub ist nie geplant. Ich schreibe ja im Durchschnitt immer so alle vier Jahre ein Buch und nach jedem Buch denke ich: „Das war`s jetzt aber. Jetzt weiß ich wirklich nicht, worüber ich noch schreiben soll.“ Und dann kommt immer irgendwann ein Thema rum. Aber das ist noch lange nicht soweit. (mz)