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Zeitgeschichte Zeitgeschichte: Einsiedels «Eisen-Karl»

Von CHRISTOPH KARPE 06.11.2009, 19:28

HALLE/CHEMNITZ/MZ. - Am Sonntagfrüh geht es gegen die Zweite von Rapid Chemnitz. Karl und seine Männer von Viktoria 03 Einsiedel wollen auswärts die Tabellenspitze verteidigen - in der Fußball-Kreisliga. "Wir möchten aufsteigen", sagt Karl, Mittelfeldregisseur, Trainer und Vereinspräsident in Personalunion.

"Eisen-Karl", der Mann, der in seinem Fußballer-Leben so viele Schlagzeilen produziert hat, dass selbst ein Stefan Effenberg daneben wie ein Waisenknabe wirkt, ist angekommen. Hier vor den Toren von Chemnitz lebt der 39-Jährige mit Freundin Severin und der vierjährigen Tochter. Die wilden Geschichten, das unstete wie aufregende Profileben, ist verblassende Vergangenheit.

Und doch holt sie ihn gerade wieder ein. Ohne den 9. November 1989 und den Mauerfall wäre Karl seit Jahren bereits ein anonymer Freizeit-Kicker. Jener Wendepunkt öffnete ihm bereits endgültig verschlossene Türen. "An diesem Tag vor 20 Jahren saß ich als NVA-Soldat in der Rostocker Kaserne. Wir schauten Fernsehen, sahen die Menschen, die rüber fuhren. Alle haben gejubelt", erzählte er gerade dem Magazin "11 Freunde".

Karl absolvierte damals seinen Grundwehrdienst - zwangsweise. Fußballspielen durfte er nicht mehr. Dabei zählte der Nachwuchs-Auswahlspieler und Oberliga-Kicker des Halleschen FC Chemie zu den größten Talenten der DDR. Er hatte mit Hammer, Sichel und Ährenkranz auf der Brust im Mai 1989 noch die U-18-WM in Saudi-Arabien bestritten. Ein paar unbedachte Worte sollten ihm zum Verhängnis werden.

Thomas Weiß, sein nach Aue gewechselter Kumpel, hatte ein Spiel von Wismut in Schweden genutzt, um sich in den Westen abzusetzen. Als Ende Juli dann ein Häuflein HFC-Kicker in einer halleschen Milchbar beim Bier saß, plauderte Steffen Karl einen folgenschweren Satz in den Raum: "Vielleicht sieht man sich ja mal wieder." In den Stasi-Unterlagen stand dann die Formulierung: "Thomas, wir folgen dir!" Die Überwachungs-Maschinerie funktionierte auch in einem Oberliga-Verein wie dem HFC perfekt. Schon am nächsten Tag war Karl auf Lebenszeit für höherklassigen Fußball gesperrt. Für den 19-Jährigen brach eine Welt zusammen. Man schickte ihn in die Bezirksliga (3. Liga) zur BSG Stahl- und Walzwerk Hettstedt. Dann kam der Einberufungsbefehl - und der 9. November.

Vom Weihnachtsurlaub kehrte Karl nicht mehr in die Kaserne zurück. Am 3. Januar 1990 fuhr er mit dem Zug nach Frankfurt (Main). Bei der dortigen Eintracht verdiente Thomas Weiß inzwischen als Profi hartes Westgeld. Der Kumpel knüpfte Kontakte. Bei einem Probetraining in Mönchengladbach fiel Karl durch. Borussia Dortmund nahm ihn - und bald adelten die Fans ihr neues Idol als "Eisen-Karl." Dieser malochende Abräumer passte einfach ins Revier.

Doch den pflegeleichten Muster-Profi gab Steffen Karl nie. Nach einer Alkohol-Sause prallte er 1994 mit seinem Auto gegen einem Laternenpfahl. Trainer Ottmar Hitzfeld legte fortan auf seine Dienste keinen Wert mehr. Für 15 Spiele bis Saisonende lieh ihn die Borussia an Manchester City aus. Dort half er mit, den Abstieg zu verhindern. Fans und Medien feierten ihn als "deutschen Panzer". Eine Zukunft auf der Insel ergab sich jedoch nicht. So begann die Tingeltour quer durch Europa. In Berlin stieg er mit der Hertha aus der zweiten Liga auf - und wurde dann doch entbehrlich.

Er ging nach Chemnitz, kickte in der Regionalliga und geriet in einen kriminellen Sumpf. Im Zuge des Bestechungs-Skandals um Schiedsrichter Robert Hoyzer versuchte Karl für die Berliner Wettmafia, Spiele zu kaufen. 18 000 Euro bot er dem damaligen Cottbuser Torwart Georg Koch, damit dieser ein, zwei, Bälle reinlasse. Koch meldete das Telefonat. Der DFB und die Staatsanwaltschaft wurden aktiv, Karl kam für drei Tage in Untersuchungshaft. 2005 verurteilte ihn ein Berliner Gericht zu neun Monaten Gefängnis - ausgesetzt auf vier Jahre zur Bewährung. Reden möchte Steffen Karl darüber nicht mehr. "Ich habe einen Fehler gemacht und bin bestraft worden. Damit ist es vorbei", sagt er.

Die Einsiedler kennen seine Geschichte - und sie nehmen sie ihm nicht krumm. "Sie haben mich einstimmig zum Präsidenten gewählt", betont Steffen Karl. Sein Leben ist im Lot, auch wenn das meiste Geld, was er in seiner Profi-Karriere verdient hat, futsch ist. Bei der Einsiedler Brauerei arbeitet er im Marketingbereich, er kickt, ist zufrieden mit sich und sieht den 9. November nicht einmal als besonderes Datum an: "Sicherlich werden wir am Montag eine Flasche Wein öffnen. Aber nicht extra wegen dieses Datums."