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WM 1954: Helmut Rahn WM 1954: Helmut Rahn: Legende lebt in der «Friesenstube»

Von Hartmut Scherzer 21.06.2004, 18:25

Essen/MZ. - Dittmarstraße 1, Erdgeschoss links, das war in den letzten Jahren Helmut Rahns Adresse. Auf der Klingel steht nur noch Rahn. Hier lebt seine Frau Gerti. Das "H." ist verschwunden. Die V-förmige Theke in der "Friesenstube", um die Ecke in der Frohnhausenerstraße, ist spätnachmittags voll besetzt. Meist ältere Männer hocken vor einem Pils und einem Kurzen. Die Helmut-Rahn-Ecke ist mit einem roten Schal "Helmut Rahn - ein Held von Bern", einem weißen Nationaltrikot mit schwarzem Kragen und Schnürverschluss und zwei signierten Fotos dekoriert.

"Das sind alles seine Freunde", stellt die Wirtin Brigitte die Rentner-Runde vor. Die Männer sind aufgebracht. In "Bild" steht die Ungeheuerlichkeit als Schlagzeile auf der Titelseite: "Die Helden von Bern alle gedopt?" Und ausgerechnet der Helmut soll die Spritzen-Idee von einer Südamerika-Reise mitgebracht haben. "Dat is'n Witz", schimpft einer.

Hier in der "Friesenstube" also hat Helmut Rahn in Bierlaune immer wieder die Geschichte vom Tor des Jahrhunderts erzählt. Das Traum-Tor der Nation an jenem historischen 4. Juli 1954 veränderte das Leben Helmut Rahns, der noch an den Berner Glanz glaubte ("Gnädigste, Sie tanzen mit einem Weltmeister"), als längst alles wieder alltäglich zuging. "Mit dem dritten Tor fing die ganze Scheiße in meinem Leben an", vertraute er einmal einem Freund an. Er geriet immer wieder in Schwierigkeiten, oft alkoholbedingt. Sepp Herberger holte sein liebgewonnenes Sorgenkind einmal von der Polizei-Wache, als Rahn mit 2,6 Promille sein Auto in eine Baugrube gesetzt hatte.

Doch es sind nicht nur all die Erzählungen und Anekdoten, die den Mythos des dritten Tores bewahren und Helmut Rahn unsterblich machen. Denkmäler wurden und werden dem Boss, wie er genannt wurde, reichlich gesetzt. Die Hamburger Künstlerin Inka Uzoma fertigte eine Bronzestatue in Lebensgröße (1,76 Meter), die vor dem Georg-Melches-Stadion in Essen ihren Platz findet. Der Essener Stadtrat beschloss, eine Straße nach dem berühmten Sohn der Stadt zu benennen. Sönke Wortmann schuf mit seinem Film "Das Wunder von Bern" eine Hymne an diesen so populären Nationalspieler (40 Länderspiele, 21 Tore).

63 Tage vor der Premiere, zwei Tage vor seinem 74. Geburtstag, am 14. August 2003, starb Helmut Rahn an Nierenversagen. Die FAZ platzierte den Nachruf dreispaltig auf Seite eins. Die Trauerfeier in der Pfarrkirche St. Elisabeth und die Beisetzung auf dem Margareten-Friedhof glichen einem Staatsbegräbnis. Bundespräsident Johannes Rau würdigte Helmut Rahn als "einen Menschen mit Ecken und Kanten. Deutschland hat eine wirkliche Legende verloren".