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Wettskandal Wettskandal: Fußball im Ausnahmezustand

Von Claas Hennig und Ines Bellinger 22.11.2009, 16:02

Hamburg/dpa. - DFB-Präsident Theo Zwanziger verspracham Wochenende lückenlose Aufklärung, Liga-Präsident Reinhard Rauballwarnte vor Vorverurteilungen, Osnabrücks Kapitän Thomas Reichenbergerbeteuerte über Stadionmikrofon seine Unschuld. Die Dimension desgrößten Wettskandals im europäischen Fußball ist noch nicht absehbar.

Reinhard Rauball, Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL) übteharte Kritik an der Informationspolitik der Ermittlungsbehörden inBochum: «Ich habe es bedauert, dass die Liga und der DFB von derStaatsanwaltschaft nicht mit eingebunden wurden. Immerhin war das beider UEFA der Fall», sagte er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa. «Nicht gefallen hat mir der Ausdruck, das dies erst die'Spitze des Eisbergs' gewesen sei. Dadurch wird eineErwartungshaltung geschürt, die bisher durch Fakten noch nicht belegtworden ist.» Die DFL versuche am Montag Einsicht in dieErmittlungsakten zu bekommen.

Die Tatsachen: Laut Staatsanwaltschaft Bochum stehen europaweit200 Spiele im Verdacht, manipuliert worden zu sein, darunter 32Partien in Deutschland von der 2. Bundesliga abwärts. 15Tatverdächtige wurden in Deutschland festgenommen, zwei in derSchweiz. Insgesamt sind neun Länder in Europa betroffen. Ausgezahltwurden von den Wettbüros in Europa und Asien nach vorläufigem Standrund zehn Millionen Euro. Verdächtige Vereine, Spieler, Funktionäreoder Begegnungen hatten die Behörden auf ihrer Pressekonferenz amFreitag nicht genannt. In Medien kursieren jedoch bereits Listenangeblich verschobener Spiele und verdächtiger Spieler.

Die Maßnahmen und Strafverfahren nach dem Skandal um den DFB-Schiedsrichter Robert Hoyzer im Jahr 2005 haben offensichtlich nichtsbewirkt. Unter anderem hatten DFB und DFL ein Frühwarnsystem zurErkennung von auffälligen Spielen eingerichtet. «Ich will jetzt nochnicht sagen: 'Es hat versagt.' Ich glaube das wäre zu viel. Aber wirmüssen gucken, warum wir nicht gewarnt worden sind», sagte Zwanziger.

Er kündigte an, sobald beweiskräftige Unterlagen vorliegen, «wirdunser Sportgericht und der Kontrollausschuss die sportgerichtlichenMaßnahmen treffen und das entsprechend ahnden». Das Urteil könne«vielleicht sogar weit vor einer Anklageerhebung und einerrichterlichen Entscheidung» fallen. Der DFB werde auch derStaatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen helfen. «Es liegt ganz inunserem Sinne, dass die Staatsanwaltschaft das so aggressiv angeht.»Für Zwanziger ist der Wettskandal ein gesellschaftliches Phänomen:Diese Betrügereien gebe es nicht nur im Sport.

In Deutschland gerieten der VfL Osnabrück und der SSV Ulm in denFokus. Osnabrücks Kapitän Thomas Reichenberger beteuerte am Samstagvor dem Spiel öffentlich im Stadion seine Unschuld. «Ich hatte nieKontakt mit der Wettmafia und habe mit dem Wettskandal nichts zutun», versicherte der 35-Jährige den Fans. Rauball bedauert, dass essoweit kommen musste: «Noch gilt die Unschuldsvermutung. Es ist nichthinnehmbar, dass Spieler öffentlich geoutet werden und sich dann perMikrofon vor der Tribüne und den eigenen Zuschauern rechtfertigenmüssen.»

Reichenberger sagte, er habe bisher nur aus den Medien erfahren,dass die Zweitliga-Spiele beim FC Augsburg (0:3) am 17. April undbeim 1. FC Nürnberg (0:2) am 13. Mai manipuliert sein könnten, sagteReichenberger. In dem Zusammenhang wurden er und zwei ehemaligeMitspieler genannt. Beim Ex-Osnabrücker Marcel Schuon, dermittlerweile für den Drittliga-Club SV Sandhausen spielt, fand eineHausdurchsuchung statt. Nach Angaben des Regionalligisten SVWilhelmshaven untersucht der DFB einen Bestechungsversuch desTorhüters des Goslarer SC im Vorfeld des Punktspiels gegenWilhelmshaven. Der Fall sei an die Poliezi übergeben worden, sagteHans-Rainer Hansen, Spielleiter der Regionalliga Nord.

Der frühere Bundesliga-Club und heutige Regionalligist SSV Ulmsoll laut «Spiegel» tiefer in die Affäre verwickelt sein als zunächstvermutet. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins stehen vierSpiele der Schwaben aus der Endphase der vergangenen Saison unterManipulationsverdacht. «Wir werden alles in unserer Macht Stehendetun und so gründlich wie nötig mithelfen, diese unglaublichenVorwürfe aufzuklären», sagte SSV-Präsident René Mick. Alle UlmerSpieler unterzeichneten am Freitag ein Schriftstück, in dem sieversicherten, nichts mit Manipulationen zu tun zu haben.

Laut «Spiegel» soll bei einem Spiel der Regionalliga Süd im Maiauch ein DFB-Schiedsrichter Schmiergeld von den mutmaßlichen Wett-Betrügern kassiert haben. Der ehemalige Bamberger Basketballer IvanPavic wurde im Zusammenhang mit den Ermittlungen festgenommen. Dasbestätigte der Geschäftsführer des Basketball-Bundesligisten BroseBaskets Bamberg, Wolfgang Heyder, der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Der deutsche Experte für Sportwetten beim Weltfußballverband FIFA,Wolfgang Feldner, hat das Problem des Wettbetrugs im Sport mit denGefahren des Dopings verglichen. «Spielmanipulationen aufgrund vonSportwetten sind eine der größten Bedrohungen für den Fußball -vergleichbar gefährlich wie das Doping», sagte der Strategiechef desFIFA-Frühwarnsystems der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung».

Die internationalen Medien zeigten sich wenig überrascht über denSkandal. Die spanische «El Mundo» stellte resigniert fest: «Deraufgedeckte Wettskandal ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt nochviel mehr Korruption. Um was sollen wir wetten?»