Wandern auf den «Great Walks» in Neuseeland
Invercargill/Wellington/dpa. - Ein Gepolter auf der Veranda weckt die ersten Wanderer. Es ist kalt im Matratzenlager. Trotzdem schält sich der erste aus seinem Schlafsack, um nach dem Rechten zu sehen.
Sein Gelächter dringt kurz darauf in den Schlafsaal: Ein Kea-Vogel macht sich gerade mit Ausdauer und Zerstörungswut über die Wanderschuhe her, Sohlen und Schnürsenkel liegen nun chaotisch verstreut. Noch etwas steif von den Strapazen des Vortages sortieren die Wanderer ihre Ausrüstung. Auf sie wartet die zweite Etappe des Routeburn Tracks, eines der neun «Great Walks» in Neuseeland.
Hochalpines Gelände, Küsten mit weißsandigen Buchten, verwunschen wirkende Wälder: Acht Wanderungen und auch ein Kanu-Trip werden auf den Inseln im Südpazifik als «Great Walks» bezeichnet. Sie gehören zu den schönsten Touren in Neuseeland, Zehntausende packt hier jährlich die Abenteuerlust. Je nach Kondition wagen sie sich in Fjordlands wilde Berge wie beim Routeburn Track, oder sie bevorzugen das weniger schweißtreibende Genusswandern am Abel Tasman Track an der Küste.
Das Department of Conservation (DOC) wacht darüber, dass die «Great Walks» trotz ihrer Beliebtheit nicht allzu überlaufen sind. Die Schlafplätze in den spartanischen Berghütten sind teilweise schon Monate im Voraus ausgebucht. Wer sein Abenteuer so lange geplant hat, wirft dann in den letzten Tagen vor Beginn der Wanderung so manchen sorgenvollen Blick auf die Wettervorhersage, die in den DOC-Büros ausgehängt ist: «Routeburn: Regen, Regen, Regen!!!»
Am Morgen darauf gleichen die Berge weißen Zuckerhüten. Unerwartet hat es noch einmal geschneit - und das kurz vor Beginn des Sommers. Im Bus, der ein Dutzend schwer bepackter Menschen zum Einstiegspunkt bringt, herrscht Schweigen. Von außen prasselt es an die Fenster - wie so oft in Fjordland, Neuseelands regenreichster Region.
Insgesamt 33 Kilometer liegen vor den Wanderern, jeder trägt rund zwölf Kilogramm Gepäck. Töpfe, Schlafsack, Kleidung, Fertiggerichte und Müsliriegel im Rucksack lasten schwer auf den Schultern. Wenigstens der Gaskocher muss nicht mitgeschleppt werden, denn die Unterkünfte am Routeburn-Track sind mit Kochplatten ausgestattet.
Sofort geht der Weg steil bergan. Vier bis fünf Stunden dauert die Etappe, doch schon nach kurzem teilt sich die Gruppe in sportliche und gemütliche Wanderer. Der Regen lässt nach, die Wolken lichten sich. Nach einer guten Stunde ist er endlich frei: der Blick auf die schneebedeckten Gipfel. Schon fühlt sich der Rucksack leichter an.
Am entgegengesetzten Ende der Südinsel schlägt ein völlig anderes Panomara Besucher in seinen Bann: Eine Traumbucht nach der anderen säumt den Weg des Abel Tasman Coast Tracks. Er ist 51 Kilometer lang und bei weitem der beliebteste der «Great Walks». Im Jahr 2006 wurden rund 30 000 Wanderer registriert, doppelt so viele wie auf dem Routeburn. Hinzu kommen jährlich geschätzte 100 000 Tagesausflügler.
Der Weg schlängelt sich durch dichten Urwald, doch noch bevor einem der grüne Wildwuchs langweilig werden könnte, ist schon wieder einer der vielen Strände erreicht, ausgefüllt von türkisblauem Wasser. Es ist viel los auf dem Track, und selbst dann, wenn die vielen Tagesbesucher heimgekehrt sind und man am Bilderbuchstrand nahe der Hütte seine geschundenen Füße im Wasser kühlt, wird man einen Begleiter nie los: «Sandflies», lästige kleine Stechmücken.
Einsamer geht es zu auf dem Lake Waikaremoana Track im Te Urewera Nationalpark. In der größten verbleibenden Wildnis der Nordinsel führt die längste Schotterpiste Neuseelands zum Waikaremoana-See, den man in drei bis vier Tagen nahezu vollständig umrunden kann. Bis zu 600 Meter hoch ragen steile Felsen über dem unergründlichen Blau auf. Entlang des Weges durch den Märchenwald haben weißliche Ranken knorrige Bäume umsponnen, einige Pflanzen verströmen ein Honig-Aroma.
Jährlich rund 6000 Menschen umwandern den bis zu 250 Meter tiefen See und nächtigen in den DOC-Hütten, die große Mehrzahl Neuseeländer. Immer wieder stimmt der Blick über die Weite des Sees viele Besucher melancholisch: «Es ist alles so gigantisch und tragisch - sogar im hellsten Sonnenlicht ist es so leidenschaftlich geheimnisvoll», hat eine Frau ins Hütten-Tagebuch geschrieben.
Auch die Wanderer auf dem Routeburn Track genießen abends vor der Lake Mackenzie-Hütte ihren Seeblick. Wenige Hartgesottene wagen den Sprung ins kalte Nass - und ersetzen damit die nicht vorhandene Dusche. Ranger Elive Rule beginnt, die Hüttenpässe zu kontrollieren. Zehn Tage bleibt er in den Bergen, dann hat er sechs Tage frei und kehrt zurück in seine Heimatstadt Invercargill. «Den Job kann man nur machen, wenn man Menschen mag - und die Natur», sagt er.
Sobald es dunkel wird, betten sich die Ersten im Matratzenlager. Der folgende Tag wird es ihnen sicher wieder mit einer Reihe unvergesslicher Natur-Eindrücke entlohnen. Und den Anfang dabei macht ein Kea-Vogel, der im Morgengrauen auf der Veranda wütet.
Informationen: Tourism New Zealand, 80 Haymarket, London SW1Y 4TQ, Großbritannien, Telefon von Deutschland: 0044/207/930 16 62
Tourism New Zealand: www.newzealand.com
Department of Conservation: www.doc.govt.nz
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