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Turnen Turnen: Lähmende Traurigkeit

Von PETRA SZAG 14.09.2011, 19:22

Halle (Saale)/MZ. - "Ist traurig und will nicht telefonieren." Mit der SMS versuchte Matthias Fahrig am Mittwochmittag zu erklären, warum er nicht an sein Handy geht. Sechs Worte einer stummen Mitteilung, die seinen Gemütszustand haargenau wiedergeben. In keinem großen Interview hätte Halles Vorturner besser ausdrücken können, wie es um ihn gerade bestellt ist.

Kurz zuvor hatte Fahrig im Trainingslager in Kienbaum erfahren, dass der Flieger am 26. September nach Tokio ohne ihn abheben und die WM dort ohne ihn über die Turnbühne gehen wird. Zu tief saß erst einmal der Frust über seine Nichtberücksichtigung für die Riege, die beim Saisonhöhepunkt mit Platz acht Deutschland das Olympiastartrecht sichern soll.

Als er sich von dem K.o. ein wenig erholt hatte, stellte sich Matthias Fahrig schließlich doch den Reporterfragen. "Das ist ein ultra-mega-schlechtes Gefühl", versuchte der 25-Jährige sich zu erklären. Und sagte mit niedergeschlagener Stimmer: "Es ist etwas anderes, einen Wettkampf zu verkacken als wenn du von vornherein nur 60, 70 Prozent hast, die auch gibst und es trotzdem nicht reicht."

Wegen einer Sehnenentzündung im linken Fuß hatte der Hallenser fünf Wochen mit dem Training aussetzen müssen. Bei den zwei verbandsinternen Qualifikationswettkämpfen im August war er noch zum Zuschauen gezwungen. Dennoch wollte der Verband ihm die Chance einräumen, sich nachträglich ins Aufgebot zu turnen. Fahrig stellte sich dem Wettlauf mit der Zeit. Und obgleich er sein Trumpf-Ass noch nicht wieder schmerzfrei ausspielen konnte, seine enorme Sprungkraft, setzte er alles auf diese eine Karte. Nach einem Solo-Test in Halle und einem zweiten zusammen mit seinen Auswahlkollegen in Kienbaum wurde der Länderkampf am Samstag in Erzingen zum Zünglein an der Waage. "Matthias hat gekämpft, zweifellos. Aber das haben die anderen auch. Und die waren eben besser", begründet Auswahltrainer Andreas Hirsch, warum er sich schließlich für Thomas Taranu (Stuttgart) und Andreas Toba (Hannover) als Nummer sechs und sieben in seiner Riege entschieden hat. Wer letztlich in der Mannschaft turnt und wer Ersatzmann ist, will Hirsch erst in Japan festlegen. "Auch wenn das abgedroschen klingt: Die Mannschaft ist der Star und wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, an allen sechs Geräten die höchstmögliche Punktzahl herauszuholen und den Olympiastartplatz zu sichern. Da passen Taranu und Toba besser rein als Fahrig in seiner augenblicklichen Situation."

Was dem SV-Athleten besonders an die Nieren geht: In ein paar Wochen wird das wahrscheinlich schon wieder anders aussehen, denn mit seinem Fuß wird es von Tag zu Tag besser. Die WM beginnt erst am 7. Oktober. So lange kann Hirsch aber natürlich nicht warten. "Ich denke, wir haben Matthias fair behandelt. Doch er hat noch Trainingsrückstand und Schmerzen. Daher wäre seine Nominierung die falsche Entscheidung gewesen", sagt der Auswahltrainer.

Argumente, die einleuchten. Das macht es für Fahrig, der bereits die EM wegen eines vereiterten Zahns verpasst hat, aber nicht leichter. "Für mich ist das eine ganz blöde Situation", sagt der SV-Athlet. "Zugucken zu müssen fällt mir verdammt schwer." Am Mittwoch meldete er sich per Computer bei der Nationalen Anti-Dopingagentur Nada um, gab für Japan Halle als Aufenthaltsort während der WM an. Auch danach wollte er seine vier Wänden nicht verlassen. Noch ist er nicht in der Verfassung, mit anderen über seine Nichtnominierung zu sprechen. "Du kannst anfangen, über das Wetter zu reden und landest doch beim Turnen. Das kann und will ich im Augenblick nicht."

Viel Zeit zur Aufarbeitung bleibt dem Sportsoldaten allerdings nicht. Denn kurz nach der WM wird auch schon die Olympiavorbereitung eingeläutet. Gleich zu Beginn des neuen Jahres gibt es einige hochkarätige Wettkämpfe in Paris und den USA und im Mai dann die EM. Seine Chancen auf eine Olympia-Nominierung sind durch die verpasste WM nicht geschmälert. "Das ist eine völlig neue Situation", sagt Hirsch. Bei Olympia sind auch Einzelkönner gefragt. Ist Fahrigs Fuß wieder fit und er in Form, könnte er an seinen Paradegeräten Sprung und Boden durchaus vorn mitmischen. Ein Trost ist das für ihn aber erst einmal nicht.