Thüringen Thüringen: Und Goethe war schon überall
Halle/MZ. - Schon Anfang des 13. Jahrhunderts war die Wartburg einer der berühmtesten Musenhöfe, an dem Minnesänger wie Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach zu Gast waren. Der von Richard Wagner im "Tannhäuser" verewigte Sängerstreit von 1206 / 1207 und das Wartburgfest der deutschen Burschenschaften von 1817 machten das heutige Weltkulturerbe der Unesco fast zum Nationalheiligtum.
Die Wartburg bei Eisenach, gleich hinter der hessisch-thüringischen Grenze gelegen, ist großartiger Auftakt für eine Burgen- und Schlösserreise durch Thüringen. 400 Burgen, Burgruinen und Schlösser gibt es dort, ein heute für Touristen erfreuliches Ergebnis einstiger Kleinstaaterei. Einige der markantesten dieser historischen Bauwerke liegen, bequem erreichbar auf kleinen Abstechern, nahe der Ost-West-Verkehrsader Thüringens, der Autobahn A 4.
Rasch kommt man von Eisenach nach Gotha. Im Schloss Frieden-stein gibt es eine Kunstsammlung mit einem der himmlischsten Bilder überhaupt, dem "Gothaer Liebespaar". Vor allem aber lockt Kunstliebhaber das 1681 bis 1683 in den Westturm gebaute Ekhof-Theater. Es ist das älteste noch funktionsfähige Barocktheater. Jedes Jahr gibt es dort Festwochen mit Aufführungen in Originaldekorationen. Bejubelt wird dabei jedesmal der rasante Kulissenwechsel durch die uralte Bühnenmaschinerie. Benannt ist das Theater nach Conrad Ekhof, der als "Vater der deutschen Schauspielkunst" gilt. Ekhof leitete am Gothaer Hof das erste feste deutsche Schauspielensemble.
Direkt an der A 4 stehen an der Ausfahrt Wandersleben die Ruinen der Burg Gleichen und der Mühlburg auf der anderen Seite der Autobahn. In der Ferne sieht man die Veste Wachsenburg. "Drei Gleichen" werden diese Burgen genannt. Nicht etwa weil sie alle ziemlich gleich aussehen. Der Name entstand, nachdem im Jahre 1231 nachts der Blitz alle drei Burgen in Brand setzte und sie sich im Finstern lodernd logischerweise sehr glichen.
Vor der Landeshauptstadt Erfurt gibt es eine kleine Überraschung. Ein weithin unbekanntes Schloss mit einem schönem Park: Molsdorf. "Vive la joie" - Es lebe die Freude - steht dort im Festsaal geschrieben. Der skandalumwitterte Bauherr Graf von Gotter soll eine recht frivole Person gewesen sein, was immer man sich heutzutage unter solch einer Bezeichnung vorstellen mag.
Erfurt ist natürlich ein Sonderfall wie weiter östlich Weimar. Man fährt dorthin sicher nicht wegen der Schlösser, sondern nimmt sich Zeit für die ganze Stadt. Aber immerhin wird Erfurt überragt von der grandiosen Festung Petersberg mit großartigem Blick auf die Stadt. Und in Weimar gibt es im Schlossmuseum der ehemaligen Residenz unter anderem die wunderbarsten Cranach-Werke zu sehen. Im Umfeld liegen Schloss Belvedere und Schloss Tiefurt, der Sommersitz der Herzogin Anna Amalie. Im Garten von Tiefurt hat der in Thüringen nun wirklich unvermeidliche Goethe wacker im Park an vortrefflichen Theaterszenen mitgewirkt. Heute sieht man dort Wohnkultur aus Goethes Zeiten, vor allem in der "Kalten Küche".
Von Weimar unternimmt der Schlossreisende pflichtbewusst einen Abstecher auf der B 85 nach Großkochberg. Vier Stunden soll Goethe für die 28 Kilometer bis Schloss Kochberg gebraucht haben. Heute geht es schneller. Kochberg war der Landsitz der Familie von Stein. Charlotte von Stein lag dem Dichter bekanntlich viele Jahre sehr am Herzen. Tausende von Briefen schrieb man sich. Die beiden hätten gemeinsam Skakespeare gelesen, lächelt die Schlossführerin hintergründig. Zu sehen sind im Schloss unter anderem ein Damensekretär, der ein Geschenk des Dichters war, und Goethes heute komisch-klobig wirkendes Gasfeuerzeug. Als Goethe von seiner ausführlichen Italien-Reise heimkehrte, wurde er von Charlotte ausgesprochen kühl empfangen. Er fuhr danach nach Rudolstadt, wo der arme Schiller bei seiner ersten Begegnung mit Goethe unter dessen schlechter Laune leiden musste. Immerhin lernte Schiller zum Trost in Rudolstadt seine künftige Ehefrau kennen.
Sehenswert für Burgen- und Schlösser-Bummler ist über Rudolstadt die Heidecksburg, eines der schönsten Barockschlösser Deutschlands, erbaut von den Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt.
Bei Jena lohnt sich noch einmal ein Seitensprung, auf der B 88 entlang der Saale nach Norden. Dort sind die Dornburger Schlösser über dem Saale-Ufer einen Besuch wert. 1776 hat sie Goethe bei einem Ritt durch das Saaletal "entdeckt", kam später mit seinem Weimarer Herzog Carl August dorthin, musste mit ihm auf dem Fußboden übernachten. Der Herzog ließ das vergammelnde Rokokoschlösschen herrichten.
Goethe schrieb in einem der drei Dornburger Schlösser an der Iphigenie und am Egmont. Der Mann war eben überall, und - um den Kreis zu schließen - er setzte sich unter anderem auch für den Erhalt der verfallenen Wartburg ein. Er muss wohl ein Double gehabt haben.