Steffi Nerius Steffi Nerius: Kritik an Präsidenten Clemens Prokop
Stuttgart/Helsinki/dpa. - Manchmal glaube ich,Prokop nutzt sein Amt nur zur Profilierung», sagte Nerius in einemInterview mit der «Sport-Bild» (Mittwoch-Ausgabe).
Vor der WM 2003 in Paris hatte Stabhochspringer Tim Lobinger mitheftiger Kritik am Verband und an den eigenen Kollegen («EinPrimadonnenclub aus Hosenscheißern») geübt und damit vor dem erstenStartschuss vor Unruhe gesorgt. Die Kritik von Nerius, die nicht alsLautsprecherin der Szene gilt, erwischte die Funktionäre eiskalt.
«Im DLV-Präsidium sitzen sicher nette Männer, aber ich habebislang nicht das Gefühl, dass sie auch zündende Ideen haben», meintedie 33-Jährige weiter. «Man bräuchte frisches Blut, Leute aus derSzene, aber mit Elan.» Gerade jetzt müssten die Probleme dringend mitProfil, Charisma und Sachverstand angepackt werden. «Es ist ebenkeine Kommunikation da. Was habe ich denn mit dem Verband zu tun?Herr Prokop hat nach meinem zweiten Platz in Athen nicht einmalmeinem Trainer gratuliert», beklagte sich Nerius über den Leiter desAmtsgerichts im bayrischen Kelheim.
Bei der WM 2003 in Paris habe dem Verbandschef sogar die GeherinMelanie Seeger vorgestellt werden müssen, die gerade für einendeutschen Rekord gesorgt hatte. «Ausfälle dieser Art kommentiere ichnicht», sagte Prokop am Mittwoch in Helsinki, fügte aber dennoch an:«Über die Art und Weise war ich überrascht und inhaltlich befremdet.Eigentlich hatte ich immer ein gutes Einvernehmen mit ihr.» EinVergleich mit Stev Theloke, der vom Deutschen Schwimm-Verband (DSV)wegen drastischer Äußerungen von der WM aus Montréal ausgeschlossenund nach Hause geschickt wurde, sei aber nicht statthaft. «Das istkein Fall Theloke», so Prokop. Er wolle nun nach dem Speerwurf-Wettbewerb das Gespräch suchen.
Mit nur zwei Medaillen bei den Olympischen Spielen in Athen warder DLV ganz tief in die Krise gerutscht. Nerius befürchtet, dass dieAusbeute in Helsinki möglicherweise noch schlechter ausfällt. «Es istmöglich, dass wir nur eine Medaille holen oder gar keine», sagte dieVize-Europameisterin und «Leichtathletin des Jahres 2004». Der DLVhabe nur acht wirkliche Top-Athleten, die Weltklasseleistungenbringen. Das Problem sei, dass am Tag X oft nicht die Leistungengezeigt würden, die möglich sind. Die Zeiten, in denen die deutschenLeichtathleten 10 Medaillen geholt haben, «kommen kaum mehr wieder».
Die Speerwerferin bemängelte auch, dass der Verband bei derNominierung nicht seine harte Linie durchgezogen habe, «auch wenn esbitter geworden wäre und wir nur mit 35 Leuten zur WM gefahren wären.Nun starten Athleten ohne jede Normerfüllung. Das ist inkonsequentund macht unglaubwürdig», sagte Nerius. Prokop betonte jedoch: «Esist auch entscheidend, dass man den Geist der Regeln beachtet und denAnspruch, der dahinter stehe, erfüllt.»