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Schottland Schottland: Von Wolle und Whisky

Von Andreas Heimann 16.06.2009, 08:52
Ganz schön riesig: Fyvie Castle hat mehr als 100 Zimmer. Allerdings kann nur der kleinere Teil davon besichtigt werden. (FOTO: DPA)
Ganz schön riesig: Fyvie Castle hat mehr als 100 Zimmer. Allerdings kann nur der kleinere Teil davon besichtigt werden. (FOTO: DPA) www.scotlandimages.com

Turriff/dpa. - Zumindest geizt Schottlands Nordosten nicht mit kleinen undgroßen Sehenswürdigkeiten. Touristen lernen hier: Typisch schottischsind eher Whisky und Wolle, Schafe und Schlösser, Geister undMenschen, für die das alles Alltag ist.

Fyvie Castle ist so ein Schloss, das allen Klischees mehr alsgerecht wird: Die Eingangshalle ist einige Meter hoch,Ritterrüstungen stehen herum. An der hinteren Wand flackert einkünstliches Kaminfeuer, an einer anderen hängen gekreuzte Schwerter,aber auch ein Hirschgeweih und ein Elchkopf.

Gut, das alles ist noch im Rahmen dessen, was in schottischenSchlössern so üblich ist. Der ausgestopfte Eisbär, der sich scheinbargrinsend über einen ebenfalls ausgestopften Seehund beugt, wirkt hierin Turriff nordwestlich von Aberdeen aber schon etwas exotisch.

Fyvie Castle wäre die ideale Kulisse für einen Film überSchottlands schrillste Schlösser. Der Alligator, der mächtigeElefantenstoßzahn und die Schildkröte, auf die Schlossbesucher zuBeginn zulaufen, belegen genau wie die Krokodilhaut aus dem Sudan,dass einer der früheren Schlossherren ein leidenschaftlicher Jägerund Sammler war. Das Schloss ist aber auch in anderer Hinsichtbemerkenswert - nicht nur wegen seiner mehr als 100 Zimmer: In FlyvieCastle spukt die Grüne Lady, und das schon seit Jahrhunderten.

Andrew Collins führt die Gäste durch das Treppenhaus. «Es stammtvon 1599 und ist das breiteste in Schottland», erzählt er undschreitet forsch voran. «Es ist so breit, dass früher einige Besuchermit dem Pferd nach oben geritten sind.» Man glaubt es sofort: Breitgenug wäre es tatsächlich. «Das Schloss ist 800 Jahre alt», sagtCollins, «es war im Mittelalter mal der Jagdsitz des schottischenKönigs.» Der Großteil der Einrichtung ist aber aus späterer Zeit.

Im Dining Room hängt eine beachtliche Sammlung mit Porträts vonFamilienmitgliedern früherer Schlossbesitzer. Es gibt jede Mengeflämische Wandteppiche, chinesisches Porzellan und einen Achtunggebietenden Kristallleuchter. «Er besteht aus Hunderten vonEinzelteilen», sagt Collins und verdreht die Augen: «Wenn er imWinter geputzt werden muss, dauert das drei Tage.» Im Herrenzimmerdagegen hängt ein Büffelkopf an der Wand und eine Sammlung vonGewehren. Der Billardtisch darunter ist zwei Tonnen schwer.

«Hier frönten die Männer ihren Lastern», erzählt derSchlossführer: «Rauchen, Trinken, Spielen». Zu sehen ist auch dasZimmer, in dem im 16. Jahrhundert der Schlossherr seine Gattin fürimmer einsperrte, weil sie vier Töchter, aber keinen Sohn bekommenhatte. Sie starb verzweifelt und geht nun noch immer um: «In demgrünen Kleid, das sie damals getragen hat», sagt Collins.

Der Schlossherr heißt heute Robert Lavie und ist nicht adelig. Erverwaltet Fyvie Castle im Auftrag des National Trust, jenerbritischen Institution, die dafür sorgt, dass viele historischeGebäude Besuchern zugänglich sind und bleiben. «Die Grüne Lady habeich noch nie gesehen, aber den Rosenduft ihres Parfüms habe ich schongerochen», beteuert er. «Sie war auch ein paar Mal in meiner Wohnung,hat Sachen verstellt und einmal sogar die Wasserhähne aufgedreht.»

Lavies Chancen auf Geistererscheinungen sind vergleichsweise gut:Er wohnt seit zehn Jahren unterm Schlossdach. In seinem gemütlichenWohnzimmer liegen auf einem Tischchen eine Reihe von Coffetable-Booksüber schottische Volkslieder und Tartan-Muster. Auf einem Schränkchensteht ein Foto, das ihn neben Prince Charles zeigt. «Ein supernetterTyp. Er war erst im Oktober hier, und es hat ihm richtig gutgefallen.» Lavie und Prince Charles teilen mehrere Interessen. Dazuzählt schottischer Whisky - Single Malt Whisky, um genauer zu sein.

Single Malt ist die Königsklasse der hochwertigen Spirituosen ausdem Norden der britischen Insel - eine Materie, mit der man sich nachLavies fester Überzeugung am besten ganz praktisch vertraut macht. Ergießt einen Balwhinnie ein. «12 Jahre alt», sagt er genießerisch, «6Jahre im Eichen- und 6 Jahre im Sherryfass, leicht und voller Süße.»Lavie gibt aus einer filigranen versilberten Kanne einen SchluckWasser in den Whisky, bevor er das erste Mal daran nippt. Seine Gästetun es ihm gleich. «Das Wasser», sagt er, «bringt die Aromen erstrichtig zur Geltung.»

Ein Stück westlich von Turriff liegt das Highland-Städtchen Elgin.Mit Fyvie Castle hat es gemeinsam, dass Prince Charles erst kürzlichda war: 2008 hat er ein Besucherzentrum bei Johnstons eröffnet.Johnstons, Ende des 18. Jahrhunderts gegründet, ist eine Institutionin Schottland und die erste Adresse für alles, was sich aus Wolleherstellen lässt. Craig Ware, einer der Gästeführer, zeigt auf dasweiße Cashmere aus der Mongolei und die neuseeländische Schafswolle,die hier verarbeitet werden. «Das hier ist Kamelhaar», sagt er undlässt ein flauschiges Bisschen davon herumgehen, «wunderbar weich».

Johnstons lässt sich auch hinter die Kulissen gucken: Besucherdürfen die Abteilung in Augenschein nehmen, wo die Wolle gesponnenwird, die Halle, in der die Webstühle stehen und auch die riesigenWaschmaschinen, die das Öl aus der Wolle waschen - mit schottischemQuellwasser. Im kleinen Elgin, sonst vor allem berühmt für diemächtigen Ruinen seiner mittelalterlichen Kathedrale, wird auch imAuftrag der großen Marken produziert: von Lacoste über Ralph Laurenbis hin zu Burberry. Vor allem Schals und Decken kommen von hier.

Südlich von Elgin liegt Speyside, eine Region in den Highlands mitbesonders vielen Whisky-Destillerien. In Grantown on Spey ist GrahamHarvey zu Hause, ein Whisky-Connaisseur der besonderen Art. Denn ertrinkt die Tropfen nicht nur gerne, er nutzt ihre Aromen noch lieberfür andere Zwecke: Harvey ist Chefkoch im «Craggan Mill». DasRestaurant in einer alten Mühle aus dem 18. Jahrhundert ist bekanntfür seine Küche mit Whisky-Spezialitäten - alles Harveys Kreationen.

«Es schmeckt einfach toll», sagt er. «Man muss nur den Mut haben,viel auszuprobieren.» Den hat er, und so bekommen Gäste Haggis-Suppemit einem Hauch von 15 Jahre altem Glenfarclas serviert odergeräucherten Fisch mit einer Whisky-Tabasco-Soße. Harvey, der überseine Küchenkünste ein Buch geschrieben hat, erzählt gerne, welchenHighland-Malt er zu Hirschrücken empfiehlt und welchen zum Dessert,und so vergeht die Zeit in der «Craggan Mill» meist wie im Flug.

Schon nicht mehr in Speyside liegt Edradour, die durchaus Chancenauf den Titel «Schottlands schnuckeligste Destillerie» hätte. Injedem Fall ist sie die kleinste. Sie liegt in Perthshire in der Nähedes Ortes Pitlochry. Die weißen Gebäude, die unter anderem dieBrennblasen beherbergen, sind schon von der Straße aus zu sehen. EinBach plätschert davor unter einer schmalen Brücke hindurch. Auf demHof steht Besitzer Andrew Symington. «Wir sind die letzteFarm-Destillerie Schottlands», erzählt er, «entstanden aus einemBauernhof, auf dem die überschüssige Gerste für die Whiskyherstellunggenutzt wurde.» Die Destillerie besitzt ihre Brennlizenz seit 1847.

«Heute arbeiten hier drei Brenner und ich selbst», sagt Symington. «Anderswo steuern die alles per Computer, wir machen das hier nochper Hand.» In der Whisky-Branche arbeitet er seit mehr als 20 Jahren.Vor 7 Jahren stand er zusammen mit seiner aus Deutschland stammendenPartnerin vor der Destillerie. «Wunderschön hier», hat sie gesagt.«Soll ich's dir kaufen?», hat er gefragt. «Ein Jahr später standenwir wieder davor, diesmal mit dem Schlüssel in der Hand.»

Die Destillerie kann besichtigt werden, vom Raum, wo die Gerste inriesigen «Big Bags» gelagert wird, bis zu den Maischbottichen und den«Stills» für das Destillieren. Symington zeigt auf einen Holzbottichmit einer trüben Flüssigkeit. «Sie hat acht Prozent Alkohol und kommtmorgen in die Brennblasen.» Geschickt füllt er eine Glasflasche undlässt die Besucher probieren - sie schmeckt wie warmes Weißbier. Nachdem Destillieren wird sie klar sein und 70 Prozent Alkohol haben.

Das würde beim Trinken nicht viel Freude machen. Deswegen lässtSymington seinen Malt ausgiebig reifen. «Wir benutzen Sherry-, Port-,Burgunder-, Madeira- und Masala-Fässer», erklärt er. Je nachdem, wielange der Whisky gelagert wird und in welchem Fass, entstehen ganzunterschiedliche Variationen des Edradour Malt. Im Besucherzentrumstehen sie Flasche an Flasche im Regal, eine eindrucksvolleBandbreite, wie um zu beweisen, was geschmacklich alles möglich ist.

In seinem aus allen Nähten platzenden Warehouse hat Symington 700Fässer liegen. Eins davon gehört seinem Sohn Andrew Gerhard. Nochfährt der Kleine mit dem Bobbycar über den Hof. «Aber wenn er 21wird, bekommt er das Fass zum Geburtstag», sagt der Edradour-Chef. Daraus lassen sich 700 Flaschen abfüllen - von einem dann sehr alten,sehr ungewöhnlichen Tropfen. Damit könnte man nicht nur Geburtstagfeiern, sondern ein Fest wie ein Schlossherr. Andrew GerhardSymington weiß noch gar nicht, wie gut er es hat.

REISEZIEL: Die Highlands liegen im Norden Schottlands. BekanntesteStadt der Region ist Inverness. Speyside liegt östlich davon.

ANREISE: Nach Edinburgh fliegen Lufthansa (zweimal täglich ab/bis Frankfurt/Main mit Zubringerflügen von mehreren deutschen Städten)sowie Germanwings und Ryanair (ab verschiedenen deutschen Flughäfen).Nach Glasgow geht es mit Ryanair von Hahn im Hunsrück aus. Alternativbestehen Umsteigeverbindungen über London oder Manchester mit BritishAirways. Von Edinburgh und Glasgow aus lässt sich der NordostenSchottlands mit dem Mietwagen erreichen. Eine weitere Möglichkeit istdie Anreise per Fähre, zum Beispiel mit der Reederei Norfolkline, diedreimal pro Woche die Häfen Zeebrugge in Belgien und Rosyth inSchottland verbindet. Die Fähre ist jeweils 20 Stunden unterwegs.

BESTE REISEZEIT: Anfang Juni bis Ende September.

WÄHRUNG: Schottland hat eine eigene Nationalbank. Die Wechselkursesind identisch mit denen in England. Für 1 Euro gibt es 0,8845 Pfund(Stand Juni 2009).

SPRACHE: Englisch

Unterwegs im Dreieck zwischen Aberdeen, Dundee und Inverness: Die beste Reisezeit für Schottlands Nordosten sind die Sommermonate Juni bis September. (GRAFIK: DPA)
Unterwegs im Dreieck zwischen Aberdeen, Dundee und Inverness: Die beste Reisezeit für Schottlands Nordosten sind die Sommermonate Juni bis September. (GRAFIK: DPA)
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