Saalkreis Saalkreis: Posaunenklänge im «Schotendorf»
Gutenberg/MZ. - Probefahrt vor historischer Kulisse - der alte Gutshof erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, dass hier die Zeit stehen geblieben sein muss. Elegante Freitreppe und modrige Klärgrube, unter einem Dach getrocknete Maiskolben, viel bröckelnder Putz - Stillstand seit Jahrzehnten? Nein, ab und zu geht es richtig rund. Dann schiebt Mario Heger ein Auto aus der Werkstatt zur Probefahrt. Die Teststrecke beginnt quasi vor der Tür. Pflaster, Asphalt und Lehmweg wechseln einander ab. Dem Meister macht das keine Sorge. Der gebürtige Gutenberger bringt alles in Fahrt, was auf Rädern unterwegs sein kann. "Qualität ist das A und O, sonst braucht man gar nicht erst anfangen." Sein Start in die Selbstständigkeit liegt sieben Jahre zurück.
Es geht mühsam voran, räumt Heger ein, doch Stück für Stück baut der Kleinunternehmer das niedrige Haus hinter dem Stall um und aus. Hebebühne, Pressen, Bremsen-Prüfstand stehen schon dort. Was das Geschäft einbringt, kommt sogleich der Werkstatt zugute. Mario Heger ist nämlich vor allem eins wichtig: "Hier bin ich mein eigener Chef." Ein Chef anderer Art ist Eberhard Winkler. Ihn kann man mitunter in der kleinen romanischen Dorfkirche treffen. Er leitet den Gutenberger Posaunenchor. Das ist ein kleiner Verein von Laienmusikern. Nachwuchs ist jetzt dringend erforderlich. Von ehedem zehn Bläsern sind fünf noch dabei. Dennoch: Wenn der Posaunenchor an Heiligabend die Werke von Bach, Schütz und Praetorius zu Gehör bringt, dann bleibt im Gotteshaus selbst auf der Empore kein Platz leer. Die Kirche, ein Baudenkmal, steht auf einem Berg. Dort begraben die Gutenberger ihre Toten schon seit Jahrhunderten.
Hoch über dem Dorf knarren uralte Bäume im Wind - in den Kronen rastet ein krächzender Krähen-Schwarm. Efeu wuchert auf den Hängen, ein verwittertes Denkmal für die gefallenen Soldaten gibt es dort ebenso wie ein ehemaliges und vollkommen ramponiertes Wasserwerk - dieser Flecken hat eine wechselvolle Geschichte. Darüber weiß wahrscheinlich Gerhard Oertel am besten Bescheid. Dem ehemaligen Lehrer fällt zum Beispiel auf Anhieb ein, aus welchem Jahr das Wasserwerk stammt - 1914. Wie nebenbei, aber bestimmt nicht zufällig nennt er dem neugierigen Städter gleich das Gründungsjahr von Gutenberg - 952. Damit ist der Ort offenbar sogar etwas älter als Halle.
Legende geworden ist der erfolgreiche Erbsen-Anbau. Daher rührt, so Oertel, der Spitzname "Schotendorf". Umstritten ist bis heute die zweite landwirtschaftliche Bestimmung - die nach der Wende stillgelegte "Eierfabrik". Die Hühnerhaltung, so erinnern sich die Einwohner, hat damals oft im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel gestunken. Geblieben sind die mittlerweile sanierten Plattenbauten, Schule und Kindergarten. Die Kaufhalle verfällt und dient nur als Treffpunkt für Jugendliche. Es findet sich einfach kein Käufer. Bauland steht dagegen hoch im Kurs - mehr als 60 neue Eigenheime an der Dorfbreite und am Weinberg sind unübersehbar. Halles Marktplatz ist nur acht Kilometer entfernt.