Rose Ausländer Rose Ausländer: Träume von der wirklichen Welt
Halle/MZ. - Vor 100 Jahren starb, einsam und nach langer Krankheit, die jüdische Dichterin Rose Ausländer. Sie hatte Beziehungen zu Künstlerkollegen wie Nelly Sachs, Käthe Kollwitz, Paul Celan und Pablo Picasso. Ihr Werk ist reich an Bildern und Stimmungen. Ihr Leben war geprägt von Flucht, Verfolgung und Tod, doch baute sie in ihrer Dichtung dazu eine Gegenwelt auf. Rose Ausländer gilt als eine der bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts, ist aber dennoch ein Geheimtipp für Kenner geblieben. Wie ihr jüngerer Kollege Paul Celan stammte die heute vor 100 Jahren geborene Autorin aus Czernowitz im damaligen österreichischen Kronland Bukowina und wuchs in jüdisch-deutscher Bildungstradition auf. Doch bereits in jungen Jahren wanderte sie in die USA aus, um dort als Journalistin zu arbeiten. 1930 kehrte sie nach Czernowitz zurück, hier erschien 1939 ihre erste Lyriksammlung "Der Regenbogen". Als die SS 1941 Czernowitz besetzte, begann das unsägliche Leiden der Juden. Zu den 5 000 Überlebenden - allein 55 000 Czernowitzer Juden wurden ermordet - gehörte Rose Ausländer, die nach dem Zweiten Weltkrieg die jetzt russische Bukowina verließ und auf Umwegen 1965 nach Deutschland kam. Seit 1978 ganz ans Bett gefesselt, schrieb sie bis 1988, als sie einsam starb, Gedichte gegen das alltägliche Sterben. "Schreiben war Leben. Überleben" für sie. Immer hat sie sich zu ihrem von Flucht, Verfolgung und Tod bestimmten Leben eine Gegenwelt aufgebaut: "Ich habe, was man Wirklichkeit nennt, auf meine Weise geträumt, das Geträumte in Worte verwandelt und meine geträumte Wortwirklichkeit in die Wirklichkeit der Welt hinausgeschickt. Und die Welt ist zu mir zurückgekommen". Heftig hat sie sich gegen das Aufgeben eigener Ansprüche, gegen Verdrängungen, und Beschwichtigungen gewehrt. "Es heißt / das Meer sei rund / die Erde rund / der Himmel rund / kann / so viel Rundes / so viele Ecken haben", fragt sie und besteht auf schmerzhaften Realitätserfahrungen ebenso wie auf den Träumen, die dieser Wirklichkeit widersprechen, an ihr zerschellen, um erneut aufzubrechen: "Ich verzichte / nicht /auf Blumen und Musik / auf meinen Zorn / über das Hungern Tausender / auf das Lächeln eines Menschen / auf harte und zarte Worte /auf das Da-Sein / in einer unfassbaren Welt // Ich verzichte gern / auf den Tod / der nicht auf mich verzichtet". Ihr lyrisches Werk liegt in einer 16-bändigen Edition vor, aber der größte Teil der Prosa, essayistischen und journalistischen Arbeiten, poetologischen Äußerungen und der Korrespondenz harren im Düsseldorfer Nachlass noch der Erschließung. Leben und Werk von Rose Ausländer bilden eine unverwechselbare Einheit - jede ihrer Lebensetappen hat sie auch poetisch reflektiert. Bis in Kindheit und Jugend reichen die Anklänge an das Judentum, besonders an das Ostjudentum und den Chassidismus zurück. Ihrer Beziehung zur Heimatlandschaft, zu ihren Lebensstationen, zu Menschen, zum Geliebten, zu den Eltern, zu Künstlerkollegen wie Nelly Sachs, Käthe Kollwitz, Paul Celan, Pablo Picasso oder Georg Trakl hat sie ergreifend Ausdruck verliehen. In einem einzigartigen Reichtum von Bildern und Stimmungen, Märchen und Mythen beschwört sie die Urthemen und Urworte der Poesie, spricht vom Atem, von der Erde, Trauer und Tod, von Mond und Sternen, Glück und Traum, Vogel und Blume - Und diesen Urbegriffen vermag sie ganz neue Facetten abzugewinnen. Die Metaphernfelder eröffnen einen erinnerungsreichen Assoziationsraum, der sich jedem Leser auf andere, auf ganz eigene Weise erschließt.