Rätsel aus uralten Zeiten Rätsel aus uralten Zeiten: Die Königshalle des Klosters Lorsch

Lorsch/dpa. - Der Wissenschaft ist die Königshalle von Lorsch ein Rätsel: Über das Alter wie über die Funktion wird seit langem gestritten. Entstand sie während der Regierungszeit Karls des Großen - oder erst unter dessen Enkel Ludwig dem Deutschen? Diente sie als Bibliothek, Reliquienschrein oder zum Empfang des durchreisenden Herrschers, was als wahrscheinlichste Theorie gilt? Der Name kann hier keinen Aufschluss geben - er wurde erst 1929 eingeführt. Historikern mögen solche Wissenslücken Kopfzerbrechen bereiten. Die Besucher - 30 000 sind es pro Jahr - geben sich wie die Unesco damit zufrieden, dass die Königshalle mehr als 1100 Jahre alt ist und zu den raren Baudenkmälern aus dieser vorromanischen Epoche zählt.
In der Welterbestätte des südhessischen Städtchens Lorsch dreht sich ohnehin alles um das zierliche Gebäude. Offiziell lautet der 1991 vollzogene Unesco-Eintrag zwar auf «Benediktiner-Abtei und Kloster Altenmünster», doch blieb vom großen Ganzen nach dem 30-jährigen Krieg nicht viel mehr als eine Ahnung - ein Fall für Archäologen.
Die Königshalle, von den Einheimischen wegen des Glöckchens liebevoll «Kappelche» genannt, hat die Jahrhunderte dagegen scheinbar unbeschadet überdauert - vielleicht der Lohn ihrer ungewöhnlichen Anmut. Mit ihrer rot-weiß-gesprenkelten Fassade wirkt sie frisch wie am ersten Tag. Der Dichter Werner Bergengruen verglich sie einst mit einem Märchenvogel aus einem versunkenen Land, und tatsächlich setzt sich das Rätselhafte im äußeren Erscheinungsbild fort. Wieso sind die unteren Kapitelle so viel feiner ausgearbeitet als die oberen? Haben sich die Erbauer bei dem Würfelmuster an byzantinischen oder gar arabischen Vorbildern orientiert? Fragen über Fragen.
Während seiner Blütezeit zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert zählte das Kloster Lorsch zu den bedeutendsten kulturellen Zentren Europas. Es expandierte wie ein neuzeitlicher Großkonzern und gründete Außenstellen in fünf europäischen Ländern. Dieser Umstand trägt Lorsch heute eine besondere Besuchergruppe ein: Bürger von Städten, die dem Kloster ihre erste urkundliche Erwähnung verdanken. Die Lorscher Bibliothek ist zwar heute in alle Winde verstreut, doch werden immer wieder Sonderausstellungen mit alten Handschriften ausgerichtet. Ab Ende September 2003 ist als Leihgabe aus Würzburg ein Totenbuch mit den Namen verstorbener Wohltäter zu sehen.
Überhaupt hat man in Lorsch erkannt, dass die steinernen Relikte durch weiteres Anschauungsmaterial flankiert werden müssen. 1995 öffnete ein Museum, das viel Lob für seine kindgerechte Museumspädagogik erhält. Vor drei Jahren wurde im Außengelände des Klosters in Erinnerung an das «Lorscher Arzneibuch» ein Kräutergarten angelegt. Einiges bleibt noch zu tun: Die Klosterkirche, beziehungsweise ihr kümmerlicher Rest, verströmt von innen den Charme einer Lagerhalle. Dafür strahlt die Königshalle um so heller, und das bald auch von innen: Rekonstruktionen der Wandgemälde stehen kurz vor der Vollendung.
Informationen: Museumszentrum Lorsch, Nibelungenstraße 35, 64653 Lorsch (Tel.: 06251/10 38 20, Fax: 06251/58 71 40)