Radsport Radsport: Die Lupe immer in der Hosentasche
Kleinzerbst/MZ. - Erst im November vorigen Jahres ist es passiert: Auf einer Geburtstagsparty sprach den Kleinzerbster plötzlich einer an. Der Mann heißt Marco Brenne, ist 31 Jahre alt, Bademeister in Bad Lausigk und Radsportler mit internationaler Erfahrung.
Als Brenne merkte, dass Zörner ganz gut beieinander ist, auch gern Rad fährt und keineswegs als Kind von Traurigkeit gilt, kam er mit seinem Vorschlag heraus: "Lass uns eine Karriere im im internationalen Behindertensport versuchen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt."
Über einen Freund von Brenne kamen sie an einen Start bei dem Deutschen Meisterschaften der Sehbehinderten. Ein Fahrradhändler in Leipzig, den alle nur "Ossi" nennen, spendierte ihnen das erste Tandem. Im März begannen sie ernsthaft mit dem Training. Drehten Runde um Runde auf der Rosche-Kampfbahn in Leipzig-Markkleeberg.
Brenne sitzt vorn
Brenne, der Pilot, sitzt vorn. Zörner, der Sehbehinderte, dahinter auf dem "Damensattel". Der heißt so, weil er eigentlich für Frauen ausgelegt ist, die häufig den Co-Piloten auf dem Tandem machen. "Der Sitz ist kurz und unbequem", reibt sich Zörner seinen Hintern. "Aber es geht."
Zörner, der hinten so gut wie nichts sieht, alles furchtbar unscharf und bunt, zwar räumlich aber so wie einen Flimmerfilm ohne klare Konturen, ist von der Sache begeistert. "Es macht einfach Spaß", sagt er.
Bis zu seinem 10. Lebensjahr hat der heute 38-Jährige die Welt klar und deutlich erkannt. Dann wurde es immer schlechter mit dem Sehen. Schleichend und heimtückisch ging das vor sich. "Jugendliche Netzhautveränderung" beschreibt Zörner sein Krankheitsbild. Immer hat er eine kleine zusammengeklappte Lupe in der Tasche stecken. Sie vergrößert um das Zehnfache. Damit kann der Sehbehinderte die Zeitung lesen.
An der großen Mattscheibe seines Computer-Monitors drückt er sich die Nase platt. Die Schrift ist extrem vergrößert. Zörner kann so aber Mailen, schreiben und lesen, im Internet stöbern. "Ab und an muss ich mal die Scheibe abwischen", scherzt Zörner mit sich selber. Er wirkt ausgeglichen, beinahe fröhlich. Seine grauen Augen blicken einen mild an. Nur wer Bescheid weiß, findet in ihnen eine Art Schleier.
Schon im Mai, nur nach wenigen Wochen Training, traten die beiden zum ersten großen Test an. Sie nahmen an der Deutschen Meisterschaft für sehbehinderte Bahnradsportler in Augsburg teil. "Eine scharfe Bahn mit steilen Kurven", zeigt Zörner Respekt. Die beiden traten ordentlich ins Pedal, holten sich den Vize-Titel im 4000 Meter Verfolgungsfahren.
Weiter ging es nach Weil am Rhein. Deutsche Meisterschaften, diesmal im Straßenrennen. Zörner / Brenne schafften wieder einen Vize, diesmal über 11 Kilometer Zeit. Über die 65 Kilometer wurden sie Dritte.
Nächste Etappe, diesmal ein großer Brocken: Die Europameisterschaften der Sehbehinderten in Alkmaar bei Amsterdam stand auf dem Zettel. "Wollen doch mal sehen", grient Brenne und Zörner klopft ihm die Schulter. Ab geht es. Die beiden werden Zehnter im 110 Kilometer Straßenrennen. Das gelingt ihnen bei weltweiter Beteiligung, denn ein Teil der EM ist offen. Die beiden sind jetzt deutschlandweit bekannt. Ihre "Blitzstart", von Null auf Europameisterschaft, ist im Gespräch in der Szene.
Jetzt gehen wir die Weltmeisterschaft an, sagen sich die beiden Strampler. Diese steigt im nächsten Jahr. "Wenn alles klappt, dann in der Schweiz." Doch die beiden wollen noch höher hinaus, sind in der Wahl ihrer Ziele alles andere als unbescheiden: "Wir visieren die Paralympics 2008 in Peking an", sagt Zörner für seinen Piloten gleich mit.
Auf der Rosche-Bahn
Dafür quälen sie sich derzeit an drei Tagen der Woche auf der Rosche-Bahn. Doch Zörner ist in Leipzig so gut wie zu Hause, hat hier studiert und einige Jahre gearbeitet. Sein beruflicher Weg ist eng mit der Sehbehinderung verflochten. Bis zur 10. Klasse geht Zörner in Elsnigk zur Schule. Nach der 10. Klasse zieht er nach Chemnitz ins Internat. An der Schule für Sehbehinderte erlernt er von 1983 bis ´86 den Beruf eines Physiotherapeuten. Er arbeitet anschließend bis 1991 in seinem Beruf im Krankenhaus Köthen. Nach Feierabend geht er zur Abendschule. Holt das Abitur nach.
Zörner will studieren. Schreibt sich 1991 in Leipzig an der Uni ein. Er studiert bis ´99 Reha-Sport und Sporttherapie. Nach erfolgreichem Studium in einer ambulanten Reha-Klinik in Leipzig als Sport- und Physiotherapeut. Bis zum August 2004. Zörner will näher ran an seine Familie. Mit Freundin Sabine und ihren drei Kindern (7, 10 und 13) wohnt er in einem gemütlichen Haus mit Garten in Aken. Täglich zur Arbeit nach Leipzig, dass ist zu weit und umständlich für ihn. Oft muss er deshalb die Woche über in Leipzig bleiben. Er bekommt ein lukratives Angebot aus Halle, könnte neben der Assistentenstelle sogar seinen Doktor machen.
Doch das Leben will es anders. Die Sache zerschlägt sich. "Jobtechnisch habe ich g´rad eine Hänger", bemerkt Zörner. Der sehbehinderte Invalidenrentner ist arbeitslos. In Leipzig hat er das schon zu spüren bekommen. Zweimal hat es dort nicht geklappt in eine kleinere Wohnung zu tauschen. "Keine Arbeit und zu wenig Einkommen", vermutete er als Gründe. Obwohl es anderen, die sogar eine Arbeit haben, finanziell noch viel schlechter geht als ihm, weiß er.
Für ihr radsportliches Fortkommen suchen Partner Brenne und ihr gerade dringend einen Sponsor. Der könnte dann auf dem Fahrradrahmen oder auf dem Trikot stehen. Die Räder - für Bahn und Straße gibt es ganz verschiedenen Typen von Tandem - sind teuer. Kosten für Material, Trikots, Stargebühren, Verpflegung, Unterkunft u.v.a. kommen hinzu. Sie haben keinen Trainer, keinen sportlichen Leiter, Mechaniker oder Masseur. "Nichts mit Tour de France Service", schmunzeln die beiden.
Jeder vor sich hin
"In Deutschland munkelt jeder vor sich hin", erklärt Zörner das System. Zur Deutschen Meisterschaft beispielsweise mussten sie sich selber melden und auch alles selbst bezahlen. Aber sie wollen nicht klagen. Entschädigt haben bislang die sportlichen Ergebnisse. "Die 4000 Meter Ausdauer Bahn unter fünf Minuten - das hat uns keiner zugetraut", ist Zörner richtig locker. Der Weltrekord hier steht bei 4:23 Minuten. Sie haben schon 4:57 geschafft.
Die Fitness der beiden hat sich auch schon in die "höhere" Radsportkreise herumgesprochen. Wenn Jens Lehmann, einer der bekannten deutschen Radsportler, am 17. September seinen Abschied von der aktiven Laufbahn nimmt, dann will er mit seinem Spannemann in einem Schaurennen gegen Zörner und Brenne antreten. "Über die Distanz hat er noch nichts gesagt", deutet Zörner durchaus auch Respekt und taktisches Geplänkel beim Profi Lehmann gegenüber den beiden "Senkrechtstartern" auf dem Tandem an.