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Quedlinburg Quedlinburg: Roland lädt ins Sofa- Paradies

Von Marlene Köhler 06.03.2008, 18:50

Halle/MZ. - Erst muss er schauen, staunen, laufen, von einem Raum zum anderen. Und immer wieder etwas Neues entdecken, denn jede Stube hat ein eigenes Gesicht.

"Wir wurden erst vor ein paar Jahren durch einen Gast darauf aufmerksam gemacht, dass sich unser Objekt über sieben aneinander gebaute Fachwerkhäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert erstreckt, die früher einmal völlig getrennt waren", sagt Inhaber Reinhard Wehrenpfennig. Noch bis in die 1970er Jahre hinein dienten sie als Wohn- und Geschäftshäuser.

Unten hatten Uhrmacher oder Schuster, Porzellan- oder Kinderwagengeschäfte ihr Domizil, drüber waren Wohnungen. Doch mehr und mehr nagte der Zahn der Zeit an dem Fachwerk.

Der DDR-Beschluss zur Stadtkernsanierung von Quedlinburg kam gerade noch rechtzeitig. Und so nahmen sich ein neu gegründeter Betrieb für Denkmalpflege und polnische Spezialisten vom PKZ Torun, einem Kombinat für Restaurierungen und Denkmalpflege, des historischen Fachwerks an. Restauriert wurden Gassen und Plätze mit einprägsamen Namen: Hölle und Pölle, Stieg, Word und Hoken, die Gegend um Schlossberg und Finkenherd und andere mehr. Ab 1983 kamen die Häuser in der Breiten Straße in den Genuss, wurden entkernt, nach Fertigstellung 1987 zog ein Lokal der HO ein. Doch bald schon wurden neue Pächter gesucht.

1991 hatten Annerose und Reinhard Wehrenpfennig nach Verteidigung ihres Konzeptes den Zuschlag für das Objekt erhalten. Die Serviermeisterin und der Bäcker und Konditor, beide hatten sich im Interhotel Halle kennen gelernt, betrieben bereits ein Café in Thale und suchten nach einem zweiten Standbein. "Als wir das Lokal übernahmen, waren innen nur zwei Räume gastronomisch nutzbar. Nach und nach haben wir alles selbst saniert, Abwaschküche und Wirtschaftsräume wurden zu Gaststuben umgebaut, weil der Bedarf wuchs", erzählt Reinhard Wehrenpfennig.

Da nicht viel Geld da war, halfen Freunde bei der Einrichtung, brachten schöne alte Stühle, Sofas und Schränke. Später suchten die Wehrenpfennigs selbst in Antiquitätengeschäften und auf Trödelmärkten nach passendem Interieur, sammelten Scherenschnitte, alte Fotografien, Kaffeebüchsen, Figuren und Krüge aus Messing und Zinn. Und Bücher, die nun überall zum Schmökern einladen. So veränderte sich mit der Zeit der Stil des Hauses. Heute haben alle Stuben Namen, dahinter verbirgt sich ihre Geschichte. Das Brockenzimmer zum Beispiel, für dessen Ausstattung ein Freund Fotos und Ansichtskarten vom Brocken zur Verfügung gestellt hat. Oder das Ratsherrenzimmer, mit fünf Quadratmetern das kleinste. Anfangs hatte es eine Tür, man konnte sich zurückziehen und "geheime Dinge" besprechen. So kurz nach der Wende wurde das gern genutzt, auch von den Herren im benachbarten Rathaus. Jetzt gibt es außer im Eingang keine Türen mehr im Roland. Der Gast, auf der Suche nach seinem "Lieblingsplätzchen" unter den hundert, kann von der Tortentheke im ersten Haus durchlaufen bis zum Sofa-Paradies im siebten. Auf dem etwa 50 Meter langen Weg blickt er links und rechts in die Stuben und die Kuschelecke, kommt vorbei an Küche und Backstube, schaut Köchen und dem Konditor über die Schulter. Zugucken kann er, wie die dunkelbraune Pfarrhaustorte ("wie Sacher, nur besser, weil mit Nüssen und Pflaumenmus" sagt Wehrenpfennig) entsteht. Oder die Buttermilchtorte mit Himbeeren, der Mohnkuchen, der Apfelstrudel, den der Chef immer um 14 Uhr aus dem Ofen holt. Alles Renner bei den Stammkunden, die das Gros der Gäste bilden. Die 96-jährige Annemarie Finkbein kommt fast täglich ins Café, sucht sich einen Fensterplatz, zum Beispiel im Marktzimmer, von dem man so schön auf den Marktkirchhof blicken kann. Sie war es auch, die von Gotthilf Fischer interviewt wurde. Für eine MDR-Sendung über den Harz, Quedlinburg und das Sieben-Häuser-Café hatte der Chorleiter nach Stammgästen gefragt, und viele, viele kamen. Die Friseure der Umgebung hatten an jenem Tag Hochbetrieb.

Andere Promis wie Thekla Carola Wied, Otto Waalkes samt den sieben Zwergen, die Wildecker Herzbuben, Otto Graf Lambsdorff, Konstantin Wecker, Volker Lechtenbrink oder Ottfried Fischer spazierten wie zufällig ins Café und wussten die Anonymität zu schätzen. Eine Köchin, zwei Köche und vier Frauen im Servicebereich sind heute angestellt, manche sind schon seit 1991 dabei, wie Emily Zweidorf oder Kerstin Emmer. Seit zwei Jahren im Team ist Steven Herrmann, der schon in guten Häusern der Schweiz gekocht hat und im Roland für die hochwertigen Gerichte zuständig ist. "Wir achten auf Professionalität und Weiterbildung. Die reicht vom Kaffee-Lehrgang bis zur Beschäftigung mit neuester Küchentechnik", betont die Chefin des Hauses.

Nicht nur Quedlinburger zählen zu den Stammgästen, auch Touristen von weither, aus Holland und Amerika, Österreich und der Schweiz. Manche zieht es mehrmals im Jahr in die Unesco-Welterbe-Stadt. Vor allem in der Weihnachtszeit wird es voll, wenn der Advent in den Höfen lockt.

Seit die neue B 6 fertig ist, finden sich immer mehr Sachsen unter den Gästen. "Sie suchen nach den drei großen G", erzählt Wehrenpfennig und fragt verschmitzt, ob man wüsste, was er meint: "Guchen, Gaffee und Gouch", klärt der Roland-Chef auf.

Der Spaß dürfe nie zu kurz kommen, sagt Wehrenpfenning. Denn bei nur zwei Ruhetagen im Jahr - am 23. und 24. Dezember - "könnte man ohne Freude an der Arbeit nicht überleben", auch nicht in Deutschlands einzigartigem Sieben-Häuser-Café.