Olympia Olympia: Mobilmachen für Athen
Tabarka/Tunesien/dpa. - Schwimm-Weltmeister Thomas Rupprath (26) sagt: «In der vergangenen Saison habe ich 1600 Trainingskilometer geschwommen. Vor Athen reicht das nicht. Ich werde auf 2200 km steigern.» Kanu-Weltmeister Andreas Dittmer (31) will seinen Trainingsumfang auf dem Wasser um 15 Prozent ausweiten, «5000 km können es in dieser olympischen Saison schon werden». Deutschlands beste Ruderin Kathrin Boron (34) plant mit einem Wochenpensum von 200 statt bisher 180 km. Ralf Schumann (41), mit der Schnellfeuer-Pistole bereits zwei Mal Olympiasieger, will rund 25 000 Schuss abfeuern, 5000 mehr als in dieser Saison. Geher-As Andreas Erm (31), als WM- Dritter eine der rühmlichen Ausnahmen unter den deutschen Leichtathleten, erhöht sein Pensum auf der Straße um 3000 auf fast 10 000 km.
Das sind Grenzwerte einer neuen Runde olympischer Hochrüstung, die bei den Olympischen Spielen im kommenden August in Athen im Medaillenspiegel ihren Niederschlag finden sollen. Bekannt wurden sie im «Clubs der Besten», einer Ansammlung von 76 deutschen Medaillengewinnern bei Welt- und Europameisterschaften 2003. Der einwöchige Urlaub im kleinen nordtunesischen Küstenort Tabarka bot den deutschen Elitesportlern bis zu diesem Donnerstag eine letzte Gelegenheit zum Atemholen und Ausruhen - und zum Kennenlernen. «Hier herrschte eine Atmosphäre wie im Olympischen Dorf», sagt die Speerwerferin Steffi Nerius (31). Wegen Terrorgefahr hatte die Regierung Tunesiens den Robinson Club, dessen GmbH auch dieses 17. jährliche Athleten-Treffen als Hauptsponsor ermöglichte, besonders gesichert.
Die Wege von sieben deutschen Spitzenathleten nach Athen sind höchst unterschiedlich, das Ziel ist das selbe: Eine olympische Medaille. Nur Steffi Nerius, bei Olympia 2000 Vierte, bei der WM in Paris Dritte und bei der letzten EM in München Zweite, legt sich fest: «Ich sage knallhart, ich will Gold.» Die Leverkusenerin sprengt auch sonst den Rahmen. Sie bleibt bei durchschnittlich rund 100 Würfen pro Woche, will bei Kraft- und Schnellkraft-Übungen ebenfalls nicht zulegen, sondern zusätzlich an der Technik arbeiten. Und dann will die Sportwissenschaftlerin auch nicht ihre 20-Stunden-Woche als Trainerin für Behindertensport aufgeben. «Ich habe zwei Jobs. Konzentration auf den Speer geht nicht. Das wäre ein Lotterleben.»
Ganz anders Thomas Rupprath. «Ich bin Vollprofi», sagt der Weltmeister und Weltrekordler über 50 m Rücken. Sein Tagesablauf wird von nun an bestimmt von drei Trainingseinheiten, zwei zu Wasser, eine an Land. «15 km pro Woche mehr im Becken, das verträgt mein Körper. Ich weiß, wo ich noch Reserven habe. Ich muss konkurrenzfähig auf den letzten 25 Metern werden.» Das will er in Athen über 100 m Schmetterling und Rücken und in der Lagen- und Freistilstaffel beweisen. Zur Ich-AG Thomas Rupprath gehören der Heimtrainer, der medizinische Betreuer, der Manager, drei Sponsoren, die Eltern und Ehefrau Urte. Sie betreibt ein Möbelhaus in Rostock, «und wenn ich mal aufhöre mit Schwimmen, kann ich da einsteigen».
Kathrin Boron, die zweimalige Olympiasiegerin (1992, 2000) im Rudern, zählt zu den kostbarsten Erbschaften, die der bundesdeutsche Sport aus der Vereinigung mit der DDR bezog - und für die Athen zu einem letzten Hurra werden soll. Nach den Spielen in Sydney war die Potsdamerin, die seit 1983 im Boot sitzt, «körperlich total kaputt und demotiviert». Nach einer Baby-Pause hat sie neue Lust am Rudern bekommen und sich in diesem Jahr als WM-Zweite im Doppelzweier zurückgemeldet. Seit diesem Mittwoch ist Kathrin Boron von ihrem Beruf als Bankkauffrau freigestellt. Das schafft Zeit für insgesamt sechs Trainingslager, davon allein drei in der Höhe von St. Moritz.
Andreas Dittmer, Olympiasieger 1996 und 2000 und in seinem Canadier über 1000 m seit vier Jahren unbesiegt, will eine Grundlage für seinen Gold-Hattrick Ende des Jahres bei einem vierwöchigen Trainingslager in Australien legen. «Ich habe schon alles erreicht, doch es geht immer weiter. Die zwei Olympiasiege sind kein Rucksack für mich, eher ein Ansporn.» 60 Prozent der Vorbereitungen will der Bankkaufmann aus Neubrandenburg, der sich das letzte halbe Jahr vor Athen beurlauben lässt, auf dem Wasser verbringen. Die Sporthilfe ist eine Hauptstütze. Dazu kommen der Verein und einige Mäzene. «Maßlos ärgert» ihn, dass der Deutsche Kanu-Verband (DKV) in der Vermarktung und in der Öffentlichkeitsarbeit «nicht professionell genug ist». Andreas Dittmer, wohl einer der größten deutschen Athleten der Gegenwart, steht mit seiner Lust an der Leistung und seiner Intelligenz für jene Athleten, die unverdient in den Schatten der Öffentlichkeit abgedrängt sind.
Das gilt in gewisser Weise auch für Andreas Erm, Eric Walther und Sportschütze Ralf Schumann. Der Olympiasieger von 1992 und 1996 gilt als ein Genie der Konzentration. Sein Scheitern in Sydney, wo er als Fünfter krass hinter seinen eigenen Erwartungen zurückblieb, will er in Athen vergessen machen. Doch zuvor muss er sich im Frühjahr bei Weltcup-Turnieren in Singapur und Sydney gegen vier starke deutsche Konkurrenten noch einen von zwei deutschen Quotenplätzen sichern. Nur weil die Sporthilfe ihn seit April als Angestellten führt und ihm somit eine «Super-Sonderförderung» zukommen lässt, kann sich Ralf Schumann die Olympia-Vorbereitung leisten. Dazu gehört jede Menge Ausdauertraining auf dem Rad, auf Inlineskates und als Jogger.
Andreas Erm, im Steuerfach ausgebildet und noch eingeschriebener Student der Philosophie und Alten Geschichte, ist durch seine Planstelle bei der Bundeswehr «finanziell ohne Sorgen». Der WM-Dritte im 50-km-Gehen plant seine Vorbereitung mit einem «Acht-Stunden-Tag reinen Trainings, und danach falle ich immer tot um». Doch seinen Sport «nur mit 80 Prozent anzugehen, das geht nicht». Der Potsdamer will Kräfte schöpfen aus einer «Höhentrainingslager-Kette», mit Aufenthalten in Bulgarien, Südafrika, Mexiko und unmittelbar vor Athen noch einmal Bulgarien. Bei den Spielen strebt Andreas Erm auch einen Start über 20 km an. Ein «Glücksfall» ist für ihn, «dass mein Heimtrainer auch Bundestrainer ist».
Eric Walther (28) ist ein Fall für sich. Seit diesem Sommer ist er der erste deutsche Weltmeister im Modernen Fünfkampf, doch Notiz genommen hat davon kaum jemand, und «sponsorenmäßig» habe sich auch nichts ergeben. Immerhin, die Stelle in der Fördergruppe der Bundeswehr verschafft dem Berliner halbwegs professionelle Bedingungen. An seinem Trainingsprogramm, bis zu sechs Stunden am Tag an sechs Wochentagen, will Eric Walther nichts ändern, «ich weiß selber, was ich machen muss». Die Spezialtrainer in seinen fünf Disziplinen Laufen, Fechten, Schwimmen, Reiten und Schießen hat er sich selbst organisiert, sie arbeiten unentgeltlich. Die Trainingslager in Mexiko und Spanien muss er selbst bezahlen und die Materialkosten «zum großen Teil auch». Von seinem nationalen Verband hat er in diesem Jahr als Sachleistung «eine Badehose und eine Degenklinge bekommen».