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Mediziner äußert sich zu Todesarten im KZ Stutthof

27.04.2020, 15:03
Anne Meier-Göring (hinten, 3.v.r), Vorsitzende Richterin, und weitere Prozessteilnehmer stehen zu Beginn eines weiteren Prozesstages gegen einen 93 Jahre alte ehemaligen SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof im Sitzungssaal des Landgerichts. Foto: Christian Charisius/dpa/Pool/dpa
Anne Meier-Göring (hinten, 3.v.r), Vorsitzende Richterin, und weitere Prozessteilnehmer stehen zu Beginn eines weiteren Prozesstages gegen einen 93 Jahre alte ehemaligen SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof im Sitzungssaal des Landgerichts. Foto: Christian Charisius/dpa/Pool/dpa dpa/Pool

Hamburg - Im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig sind 1944/45 Tausende Häftlinge an Fleckfieber, Hunger und Giftgas gestorben. Jede dieser Todesarten war äußerst qualvoll, wie medizinische Gutachter am Montag im Hamburger Prozess gegen einen ehemaligen SS-Wachmann erklärten. Bereits die stundenlangen Appelle im Lager bei winterlichem Frost dürften für viele geschwächte Gefangene den Tod bedeutet haben. „Es verwundert fast, wie viel davon überlebt worden ist”, sagte der Hamburger Rechtsmediziner Sven Anders. Der Gutachter beschrieb auch die Folgen von Unterernährung. Der Hunger führe nicht nur zu Abmagerung und Hungerödemen, sondern auch zu Apathie, Depression und Kontrollverlust.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 93 Jahre alten Angeklagten vor, er habe als Wachmann Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen geleistet. Oberstaatsanwalt Lars Mahnke hatte bei Prozessbeginn erklärt, während der Dienstzeit des Angeklagten in Stutthof vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 seien dort 30 Gefangene durch Genickschuss getötet und mindestens 200 vergast worden. Rund 5000 Menschen starben, weil ihnen im sogenannten Judenlager systematisch ausreichend Nahrung, Wasser und Hygiene verweigert wurde. Zudem grassierte ab November 1944 eine Fleckfieber-Epidemie.

Fleckfieber sei eine Bakterieninfektion, die über den Kot von Kleiderläusen übertragen werde, sagte der Mikrobiologe und Virologe Dennis Tappe vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Die Infizierten bekämen nach ein bis zwei Wochen 40 Grad Fieber, Ausschläge, Atemnot und Bauchschmerzen. „Man fühlt sich sehr, sehr schlecht”, sagte Tappe. Schließlich führten Gefäßentzündungen zum Tod. Unter schlechten hygienischen Bedingungen stürben mindestens 60 Prozent der Infizierten. Die Krankheit werde auch als Typhus bezeichnet, obwohl das eigentlich eine ganz andere Art von Infektion sei.

Die SS hatte nach Ausbruch der Krankheit drei Teile des sogenannten Judenlagers unter Quarantäne gestellt, am Ende sogar das gesamte Lager, wie die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring sagte. Nach Auskunft von Tappe hätte man die Erkrankten möglichst einzeln unterbringen, auf Hygiene achten und die Kleidung abkochen müssen. „Ja, oder sie in die Freiheit entlassen, das wäre eine Möglichkeit gewesen”, ergänzte die Richterin.

Rechtsmediziner Anders erklärte die Wirkung von Blausäure. Das unter dem Namen Zyklon B verwendete Cyanid verdampfe schon bei relativ niedriger Temperatur und töte Menschen in Sekunden bis wenigen Minuten. Das Gift verdränge die Eisenverbindungen, die die menschlichen Zellen zum Atmen bräuchten, sagte Anders. Das führe zum inneren Ersticken jeder einzelnen Zelle. Schon eine sehr geringe Dosis, wie er es selbst bei der Obduktion eines Zyankali-Toten erlebt habe, verursache eine Reizung der Augen und der Rachenschleimhäute.

Der Angeklagte hatte im Prozess ausgesagt, dass er einmal vom Wachturm aus beobachtet habe, wie 20 bis 30 Gefangene in die Gaskammer geführt worden seien. Die Tür sei verschlossen worden, dann habe er ein paar Minuten lang Schreie gehört. Diese Beobachtung passt nach Angaben von Anders zum Vergiftungsgeschehen durch Blausäure. (dpa/lno)