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MDR MDR: Selbstverbrennung des Pfarrers Rolf Günther

22.01.2002, 14:08

Leipzig/dpa. - Die Gemeinde flüchtete in Panik ausdem Gotteshaus. Nur wenige nahmen noch das entfaltete Transparent mitdem Aufruf «wacht endlich auf» zur Kenntnis.

Den Hintergründen dieser heute fast vergessenen Selbstverbrennungsind die Journalisten Alexander Ihme und Ulf Kalckreuth in einemFernsehfilm nachgegangen, den der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) amDonnerstag (24. Januar) ausstrahlt. 1976 hatte sich der Pfarrer OskarBrüsewitz vor der Zeitzer Michaeliskirche verbrannt, um ein Fanalgegen die SED-Diktatur zu setzen. Politische Motive, das ergaben dieRecherchen der beiden Autoren, hatte Günther für seine Selbsttötungzwei Jahre später nicht. Die aufgeschreckte DDR-Staatssicherheit unddie evangelische Kirchenleitung schlossen das im Ergebnis ihrerUntersuchungen aus. Was war dann der Grund für eine solcheVerzweiflungstat?

Was Ihme und Kalckreuth in ihren Gesprächen mit Zeitzeugenherausfanden, deutet nach ihrer Ansicht auf eine Auseinandersetzungum den rechten Glauben in der Kirchgemeinde hin, die Günther wohl alsexistenziellen Kampf empfunden haben muss. Weggefährten empfanden ihnals Sonderling, er selbst sah sich als «Soldat Gottes» in einerRegion, in der der «Missionskirchenglaube» mit sehr bibeltreuerFrömmigkeit keinen geringen Einfluss unter evangelischen Christenhat.

Die Gemeinde wandte sich schließlich einem anderen «Hirten» zu. Am4. September 1978 beschloss der Gemeindekirchenrat, dieZusammenarbeit mit Günther zu beenden. Wenig später trug der PfarrerMilchkannen mit Benzin in seine Sakristei.

Der Tod Günthers scheint bis heute in der Kirche nachzuwirken.«Wir hatten mit unseren Dreharbeiten auch die Hoffnung, dass einneues Reden darüber anfängt», sagte die Leiterin der MDR-Kirchenredaktion, Susanne Sturm. Doch daraus ist nach ihren Wortennichts geworden.

Irritiert sind die Autoren - Günther war der Taufpfarrer von Ihme- über die nach ihrer Schilderung geringe Gesprächsbereitschaft inder Landeskirche über die Ereignisse vor 23 Jahren. «Vom damaligenBischof bis zum Friedhofsgärtner wollte niemand darüber reden»,berichtet Kalckreuth. «Es gab auch keine Drehgenehmigung fürAufnahmen in der Falkensteiner Kirche». Die im Film gezeigten Bilderaus einem Kircheninneren sind deshalb in Bayern entstanden.

Die Kirche habe angedeutet, dass eine behutsame Aufarbeitung desGeschehens notwendig sei - die Gemeinde sei noch nicht so weit, sagtKalckreuth. «Wir fragen uns natürlich, weshalb in 23 Jahren keineAufarbeitung passiert ist».

Allerdings hat die Falkensteiner Kirchgemeinde 1998 eineschriftliche Dokumentation der Ereignisse von 1978 herausgegeben. DerKernsatz lautet: «Wir haben Rolf Günther vergeben.»