Kommentar zum Prozess gegen Christian Wulff Kommentar zum Prozess gegen Christian Wulff: Staatsanwälte sind Ankläger keine Racheengel

Halle (Saale)/MZ - Wer trägt die Verantwortung? Wer ist schuld daran, dass Christian Wulff im Februar 2013 nicht nur als Bundespräsident zurückgetreten ist, sondern vom höchsten Staatsamt in die vollständige politische und persönliche Bedeutungslosigkeit stürzte? Wer muss dafür geradestehen, dass Wulff und seine Frau in einer 67 Tage dauernden Affäre von den Medien in beispielloser Weise gejagt, gehetzt worden sind und Wulff selbst jetzt noch, nachdem er schon alles verloren hat – sein Amt, seine Frau, sein Renommee – von der Justiz der Prozess gemacht wird?
Richtig ist: Christian Wulff ist ein Opfer. Richtig ist aber auch: Er ist vor allem ein Opfer Christian Wulffs. Er ist nicht nur der erste ehemalige Bundespräsident, der sich vor Gericht verantworten muss, er war auch der erste hochrangige Politiker der Bundesrepublik, der es fertigbrachte, eine Affäre, die keine war, zu einem Skandal zu machen. Seit dem ersten Tag der Affäre erinnerte Wulff an einen Mann, der lügt, weil ihm der Mut zur harmlosen Wahrheit fehlt.
Ein klares Wort hätte genügt, als Wulff noch als niedersächsischer Ministerpräsident im Landtag gefragt wurde, ob er geschäftliche Beziehungen zu dem Unternehmer Egon Geerkens unterhalte. Hätte er gesagt, dass er zum Kauf eines Hauses von der Ehefrau Geerkens“ auf dessen Vermittlung ein Darlehen über 500.000 Euro erhalten habe, wäre das kein Stoff für einen Skandal gewesen. Denn ein Privatdarlehen ist keine Schande und kein Rechtsbruch.
So aber bestritt der Ministerpräsident Wulff „geschäftliche Beziehungen“ zu Herrn Geerkens, als Bundespräsident musste er – von der „Bild“-Zeitung überführt – den Kredit von Frau Geerkens gestehen, erst Herr Geerkens selbst machte schließlich seine eigene Mitwirkung an dem Geschäft bekannt. Als dann noch herauskam, dass Wulff die Berichterstattung über den Kredit durch einen Anruf beim Chefredakteur der „Bild“ hatte verhindern wollen, war die Jagd auf Wulff eröffnet.
Tatsächlich war das, was bis zum Rücktritt Wulffs bekanntwurde, strafrechtlich eher unerheblich, aber ebenso gut wie eine Straftat geeignet, den Bundespräsidenten zu Fall zu bringen. Erstens erlebte die Öffentlichkeit ein Staatsoberhaupt, das kaum etwas mehr zu fürchten schien als die Wahrheit. Zweitens aber entstand mit jeder Veröffentlichung über Wulffs Freunde, über die Upgrades bei Flügen und Übernachtungen, das Bild von einem Politiker, der Dienstliches von Privatem kaum zu trennen versteht.
Wulff hat für sein Versagen und seine Fehler einen hohen Preis gezahlt. Der Staatsanwaltschaft ist er nicht hoch genug, sie hat Wulff wegen Vorteilsannahme in Höhe von 753,90 Euro vor Gericht gezerrt. 753,90 Euro! Für solche Fälle hat der Gesetzgeber den Paragraph 153a Strafprozessordnung geschaffen. Er erlaubt die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage, wenn weder die „Schwere der Schuld“ noch das „öffentliche Interesse“ entgegenstehen. Das Gericht sollte ein Einsehen haben und die Staatsanwälte daran erinnern, dass sie als Ankläger aufzutreten haben, nicht als Racheengel.
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