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Karlsruhe kippt Vorratsdatenspeicherung

02.03.2010, 10:57

Karlsruhe/dpa. - In Deutschland dürfen vorerst keine Telefon- und Internetdaten mehr ohne konkreten Verdacht massenhaft gespeichert werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kippte am Dienstag (2. März) die Vorratsdatenspeicherung.

Das Gesetz ist in der derzeitigen Fassung nach Überzeugung der Verfassungsrichter nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, weil es gegen das Telekommunikationsgeheimnis verstößt. Bei der Speicherung handelt es sich «um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt», sagte der scheidende Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Anhand der Daten seien «tiefe Einblicke in das soziale Umfeld» möglich. Die anlasslose Speicherung der Daten sei geeignet, ein «diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins» hervorzurufen.

Nach dem Urteil müssen die Unternehmen nun die auf Vorrat gespeicherten Daten vernichten. Sie seien «unverzüglich zu löschen», sagte Papier. Nicht betroffen sind davon ist die Speicherung der Daten, die aus betrieblichen und geschäftlichen Gründen erfolgt - beispielsweise für den Einzelverbindungsnachweis. Im bisher größten Massenklageverfahren in der Geschichte des höchsten deutschen Gerichts hatten fast 35 000 Bürger gegen das Vorgehen Beschwerde eingelegt, über gut 60 Verfahren wurde in Karlsruhe exemplarisch verhandelt.

Die Karlsruher Richter schließen aber eine Speicherung der Daten nicht generell aus. Die EU-Richtlinie - Grundlage für das seit 2008 geltende Gesetz - stellten sie nicht in Frage. Damit umschifften sie einmal mehr eine Vorlage beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Um die Strafverfolgung effektiver zu machen, könne ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis grundsätzlich angebracht sein. Aber: «Er ist nur verhältnismäßig, wenn hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtschutzes getroffen sind», betonte Papier.

Diesem Anspruch werde das bisherige Gesetz nicht gerecht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde nicht gewahrt. Außerdem mangele es an Datensicherheit und es gebe keine konkreten Angaben, wofür die Daten gebraucht werden sollen. Ferner kritisierten die Richter eine mangelnde Transparenz des Gesetzes.

Die Verfassungsrichter machten dem Gesetzgeber klare Vorgaben, unter welchen Bedingungen die Speicherung möglich ist: So bedarf es eines Bundesgesetzes für die Speicherung, die Sicherheit der Daten muss durch eine entsprechende Aufsicht gewährleistet sein und der Betroffene muss erfahren, dass seine Daten übermittelt wurden. Wichtigste Voraussetzung für Karlsruhe: Die Daten werden von den einzelnen Telekommunikationsunternehmen gesammelt, so dass der Staat niemals selbst in Besitz eines Datenpools kommt.

Nach dem 2008 in Kraft getretenen Gesetz sollten Verbindungsdaten aus der Telefon-, Mail- und Internetnutzung sowie Handy-Standortdaten für sechs Monate gespeichert werden. Abrufbar sein sollten sie für Zwecke der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr. In Eilverfahren hatte Karlsruhe die Nutzung der Daten bereits eingeschränkt.

Karlsruhe - Das Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung war am 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Telekommunikationsunternehmen mussten seither alle Verbindungsdaten von Telefongesprächen sechs Monate lang speichern. Dabei ging es um technische Daten, nicht um die Inhalte der Gespräche. Ein Verdacht oder konkreter Hinweis auf Gefahren war laut Gesetz dafür nicht nötig. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten im Zuge der Strafverfolgung Zugriff auf die Daten, wenn ein richterlicher Beschluss vorlag.

Bei Telefonaten wurden Datum, Uhrzeit und die Rufnummern der Gesprächspartner gespeichert, bei Mobilfunkverbindungen auch der Standort zu Beginn des Gesprächs. Bei der Kommunikation über das Internet wurden die Anschlusskennung, die Zugangsdaten des Computers (IP-Adresse) sowie Beginn und Ende der Internetnutzung erfasst. Welche Webseiten der Nutzer besucht hat, wurde nicht festgehalten. Gespeichert wurden auch die Daten von E-Mail-Verbindungen und die Internet-Telefonie.

Die Speicherung wurde durch eine EU-Richtlinie vorgegeben, die der Terrorabwehr dienen soll. Deutschland blieb mit sechs Monaten an der unteren Grenze. Die EU erlaubt eine Speicherung bis zu zwei Jahre. (dpa)