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Jupp Derwall wird 75 Jupp Derwall wird 75: «Häuptling Silberlocke» hat Distanz gewonnen

07.03.2002, 16:48
Jupp Derwall, ehemaliger Bundestrainer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), aufgenommen am 6.03.2002 in St. Ingbert. Seit über zwölf Jahren genießt er sein Dasein als Rentner. Er feiert am kommenden Sonntag (10.03.2000) seinen 75. Geburtstag.
Jupp Derwall, ehemaliger Bundestrainer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), aufgenommen am 6.03.2002 in St. Ingbert. Seit über zwölf Jahren genießt er sein Dasein als Rentner. Er feiert am kommenden Sonntag (10.03.2000) seinen 75. Geburtstag. dpa

St. Ingbert/dpa. - Eine Geburtstagsfeier in großem Stil wird es nicht geben. Dieshatte sich der Jubilar schon zu seinem 70. Geburtstag verbeten. Dergroße Rummel um seine Person ist seine Sache nicht. «Ich muss dasnicht haben», sagt der gebürtige Rheinländer, der seit Jahrzehnten imSaarland heimisch ist. In dieser Woche klingelte das Telefon inseinem schmucken Eigenheim in St. Ingbert vor den Toren Saarbrückensein bisschen häufiger als sonst. Interview-Wünsche erfüllt erbereitwillig. Dass er nicht so ganz in Vergessenheit geraten ist,nimmt er wohlwollend zur Kenntnis. Doch am Wochenende taucht er fürfünf Tage ab. An einem «unbekannten Ort» verbringt er seinen Ehrentagmit Ehefrau Elisabeth, einer Schweizerin, seinen Kindern Patrick undManuela sowie den vier Enkelkindern.

Derwall ist auch sonst auf Distanz gegangen zum Fußball, der einstseinen Lebenslauf bestimmte. Zu seinem ehemaligen Arbeitgeber DFBbestehen kaum noch Kontakte. In die Türkei, wo er als gefeierter«Pascha» Entwicklungshilfe für Galatasaray Istanbul und dentürkischen Verband leistete, hat er noch «lose telefonischeVerbindungen». Er muss lange nachdenken, wann er zuletzt einFußballspiel live im Stadion erlebt hat. «Ich glaube, das war dasLänderspiel Deutschland gegen die Schweiz vor zwei Jahren auf demBetzenberg in Kaiserslautern», erinnert sich Derwall vage. Seitdemhat er sich Stadionbesuche versagt. «Auf der Tribüne sitzen,Autogramme und Interviews geben, das ist nicht mein Ding. Meinschönster Platz war immer an der Seitenlinie», sagt Derwall, der dasaktuelle Fußball-Geschehen weitgehend am Fernsehschirm verfolgt. Undbisweilen als Kolumnist des Fachmagazins «Kicker» kommentiert.

Reinreden wollte er, der als Erbe Helmut Schöns von 1978 bis 1984die Geschicke der deutschen Nationalmannschaft lenkte und mit demEuropameistertitel 1980 seinen größten Erfolg feierte, seinenNachfolgern von Franz Beckenbauer über Berti Vogts und Erich Ribbeckbis zu Rudi Völler nie. Ungefragt will er sich nicht als Oberlehreraufspielen. Wenn er jedoch gefragt wird, ist er um Antworten nichtverlegen. Dass sich die Nationalmannschaft in einem Wellentalbefindet, führt Derwall vor allem auf das Bosman-Urteil zurück, «dasunseren Fußball kaputt gemacht hat».

Die Bundesliga richte sich zu sehr nach den Ausländern, von denendie jungen Spieler «regelrecht überrollt» würden. So könnten sichkeine Persönlichkeiten vom Format eines Franz Beckenbauer, WolfgangOverath oder Günter Netzer entwickeln. «Es fehlt ein Chef im Ring,ein Spieler, der das Sagen hat», meint Derwall. Spieler wie MichaelBallack («Wenn er auf dem Teppich bleibt»), Sebastian Deisler oderSebastian Kehl seien noch lange nicht so weit und müssten in dieseRolle erst noch hineinwachsen.

Teamchef Rudi Völler hält Derwall für den geeigneten Mann, der denjungen Spielern die nötige Hilfestellung bei ihrem Reifeprozess gibt.«Der Rudi macht seinen Job sehr gut, er weiß mit den Spielern richtigumzugehen», sagt Derwall, der nur eine Sorge hat: «Die Spielerbringen nicht den nötigen Mumm mit, spielen viel zu oft quer odernach hinten, statt mit Risiko die Offensive zu suchen.» So erklärt ersich auch den «Angsthasenfußball» in den WM-Relegationsspielen gegendie Ukraine. Derwalls Prognose für das Abschneiden bei derbevorstehenden WM in Japan und Südkorea fällt gebremst optimistischaus: «Wenn wir ins Viertelfinale kommen, wäre ich schon zufrieden.Der Vorstoß ins Halbfinale wäre eine ganz tolle Sache.»