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Italien Italien: Das Meer im 13. Stadtbezirk

Von Dietmar Telser 03.05.2002, 09:53
Strand von Ostia
Strand von Ostia Dietmar Telser

Rom/Ostia/dpa. - Das Sonnenbad beginnt in Rom - wie könnte esanders sein? - mit einem Stau. Nur schrittweise schieben sich dieWagen auf der «Via Cristoforo Colombo» in Richtung Westen. Auf denknapp 30 Kilometern zum Badeort am Tyrrhenischen Meer braten dieRömer schon mal bis zu zwei Stunden in ihren Autos. Glücklich sinddie Mopedfahrer, die sich zwischen die Stoßstangen der Wagen hindurchzwängen und im kühlen Fahrtwind als erste von allen Ostia erreichen.

Eigentlich lieben die Hauptstädter ihren Badeort Ostia nicht: Inden Sommermonaten sei es schwierig, mehr als eine badehandtuchgroßeSandfläche zu erobern, klagen sie. Die Qualität des Wassers schneidetbei den jährlichen Untersuchungen stets schlecht ab. Wer daswirkliche Meer sehen will, müsse weiter gen Süden, heißt es: Nettuno,Sperlonga oder gar Gaeta bei Neapel böten weitaus gepflegtere Strändeund saubereres Wasser. Doch für weite Fahrten am Wochenende eignensich die Motorroller der römischen «ragazzi» kaum, und Vergnügenbietet Ostia allemal - etwa nachts bei einem Ausflug auf dasMittelmeer oder bei den vielen, meist illegalen Partys am Ufer.Strandrestaurants zeigen im Sommer auf großen Leinwänden Kinofilme.

«Una borgata» - zu Deutsch: ein Vorort - sagen die Römer über denMeeresort. Und wer die «borgate» Roms kennt, weiß, dass dies wenigwohlwollend gemeint ist. Verwaltungstechnisch ist Ostia in der Tatnicht mehr als ein Vorort der Millionenstadt. Vor rund zehn Jahrenwollten sich viele «Ostianer» noch ihre Eigenständigkeit erwählen.Doch das Referendum ging zu Gunsten derer aus, die sich lieber an denRändern einer Metropole sahen, als im Herzen eines Provinzstädtchens:Ostia blieb Teil des 13. Römer Stadtbezirkes.

Geschichte und Architektur des kleinen Ortes bieten ein komplettesPanoptikum Italiens im 20. Jahrhundert. So spielte sich hier einerder mysteriösesten Mordfälle im Nachkriegsitalien ab. Nördlich vonOstia wurde am 2. November 1975 die Leiche des Filmemachers undAutors Pier Paolo Pasolini gefunden. In seinem Alfa-Romeo-Sportwagenhabe man ihn oft in den Straßen des Ortes mit jungen Männern gesehen.Auf dem kleinen Fußballplatz an der «Via dell'Idroscalo» erinnert einschlichtes Denkmal heute an den umstrittenen Linksintellektuellen.

Ausgerechnet im vorstädtischen Ostia nahm auch die Aufdeckung deritalienweiten Korruptionskartelle in den neunziger Jahren ihrenAnfang. Hier wurden 1991 italienische Spitzenmanager wegen Bestechungverhaftet: In den folgenden Jahren sollte der Staatsanwältepool «ManiPulite» («Saubere Hände») das italienische Politsystem umkrempeln.

«Man glaubt in einem Kinosaal zu sitzen, in dem Filme aus denZwanzigern bis in die Siebziger gezeigt werden», schrieb der AutorAurelio Picca über Ostia, das «Hollywood der Architektur». Da ist zumBeispiel das Postgebäude von Angiolo Mazzoni, das einem Ufo ähneltund 1926, vier Jahre nach Benito Mussolinis Marsch auf Rom, fertigwurde. Von der kolonialen Sehnsucht der Epoche erzählt dasSeemannshospiz «Colonia Marina Vittorio Emanuele III» von 1932.

Vom Bade-Massenboom der fünfziger Jahre und der «Dolce Vita» derSechziger zeugt der «Kursaal» mit Schwimmbad, Tenniscourts undfuturistischem Sprungbrett. Nicht weit davon entfernt ragt daskadmiumgrüne hutförmige Dach der Sporthalle mit dem eigenartigenNamen «Palafilpjk» hervor. Das ungewöhnliche kreisförmige Gebäude,das 1990 errichtet wurde, ist vielleicht das modernste derarchitektonischen Kuriositäten im «Hollywood an der Peripherie» -auch wenn viele Badegäste gar kein Auge für die Besonderheiten haben.

Informationen: Italienisches Fremdenverkehrsamt, Kaiserstraße 65,60329 Frankfurt (Tel.: 069/23 74 34, Fax: 069/23 28 94, kostenlosesBroschüren-Tel.: 00800/00 48 25 42, E-Mail: [email protected]).