Internet Internet: Schräges Frauenbild durch Porno-Konsum

Buxtehude/dpa. - «Man schätzt, dass drei bis neun Prozent der Internetnutzerbetroffen sind», sagt Gabriele Farke, Vorsitzende des Vereins Hilfezur Selbsthilfe für Onlinesüchtige in Buxtehude bei Hamburg.
Farke unterscheidet drei Arten von Internetabhängigkeit: Spiel-,Sex- und Kommunikationssucht. «Onlinespielsucht findet man vor allembei jungen Männern.» Auch von der Sexsucht seien vor allem männlicheNetznutzer betroffen. Die Kommunikationssucht zeige sich vor allembei Frauen ab 30. Oft merken die Betroffenen selbst als letzte, dasssie abhängig sind - Angehörigen falle das meist eher auf.
Ein Signal sei es, wenn die Betroffenen sozialen Verpflichtungennicht mehr nachkommen, erläutert Elvira Lorenzen, Sozialarbeiterin inder Suchtmedizinischen Abteilung des Fachkrankenhauses Nordfrieslandin Bredstedt. «Es kommt vor, dass Abhängige verwahrlosen, nicht mehreinkaufen und regelmäßig essen.» Bevor ein Abhängiger sein Problemerkennt, muss es oft erst zum großen Knall kommen - zum Verlust desArbeitsplatzes oder zur Trennung von der Partnerin oder vom Partner.
Die Zahl der «weggesurften» Stunden entscheidet nach GabrieleFarkes Worten zwar nicht darüber, ob jemand süchtig ist oder nicht.«Es ist jedoch ein sicheres Zeichen, wenn man den Bezug zur realenWelt verliert und das Gefühl hat, etwas zu verpassen, sobald manoffline ist.»
Etwa 80 Prozent der Internetnutzer, die bei Farke Hilfe suchen,sind von Sexsucht betroffen. «Oft sammeln diese Männer Bilder, diesie abspeichern und dann nicht mehr ansehen. Sie haben Schränkevoller Datenträger und suchen doch weiter.» Farke nennt das «dieSuche nach dem perfekten Bild». Sie dient als Rechtfertigung, immerneue Bilder abzuspeichern. Als weitere Formen nennt Elvira Lorenzendie Pornofilmsucht und die Sexchat-Sucht.
Oft melden sich Männer bei Farke, deren Onlinesexsucht von derPartnerin entdeckt wurde. Frauen leiden oft sehr unter der Sucht desPartners - «da steht dann oft die Trennung im Raum.» Spreche sie aberdie Abhängigen darauf an, würden diese sagen, ihre Erlebnisse im Netzhätten mit der Beziehung nichts zu tun. Diese leidet aber dennoch.
Häufig haben junge, onlinesexsüchtige Männer Probleme, einePartnerin zu finden. «Viele von ihnen haben durch den Porno-Konsumein ganz schräges Frauenbild», sagt Gabriele Farke. Es komme vor,dass ein 25-jähriger Abhängiger noch keinen realen Sex hatte. «Siehaben oft Angst, sich Frauen in der Realität überhaupt zu nähern.»
Was können Angehörige von Betroffenen gegen die Onlinesucht tun?Sprechen sie einen Abhängigen auf das Problem an, löst das laut Farkeoft Aggressionen aus. «Wir raten Angehörigen, lieber ein Buch überdas Thema hinzulegen oder mit Hilfe eines Links auf eineSelbsthilfeseite aufmerksam zu machen.»
Nach Möglichkeit vermeiden müssen die Angehörigen «co-abhängiges»Verhalten, sagt Elvira Lorenzen: Sie dürfen das Suchtverhalten wederunterstützen noch entschuldigen. Das heißt in letzter Konsequenz,dass die Frau eines Onlinesex-Süchtigen eine angedrohte Trennungtatsächlich konsequent vollziehen muss.
Befürchten Eltern, das eigene Kind könne süchtig sein, sollten siesein Surfverhalten genau beobachten. Das gelte spätestens dann, wenndie Leistungen in der Schule nachlassen und wenn sich die Schlaf- undErnährungsgewohnheiten oder die Gefühlsäußerungen des Kindesverändern, rät Sabine Grüsser-Sinopoli.
Ganz egal ob Kind oder Erwachsener: Bedenklich ist die exzessiveNetznutzung der Psychologin und Leiterin der InterdisziplinärenSuchtforschungsgruppe an der Charité in Berlin zufolge dann, wenn siezur «einzig wirksamen Stressverarbeitungsstrategie» geworden ist.«Bei einer Suchtentwicklung wird die Computernutzung für denBetroffenen zur einzig effektiven Methode, mit Emotionen umzugehen.»
Es gibt Therapien für Onlinesüchtige - etwa im FachkrankenhausNordfriesland. Die Patienten müssen auf den Rechner als Arbeitsgerätnicht völlig verzichten: «Sie dürfen am Computer Briefe schreibenoder Zugverbindungen raussuchen», erläutert Elvira Lorenzen. Doch dieSeiten, die die Sucht hervorgerufen haben, sind tabu. Ziel ist es, zulernen, wieder normal mit dem Computer umzugehen. Schließlich istkomplette Abstinenz vom Netz kaum möglich: Spätestens am Arbeitsplatzkommen viele wieder damit in Kontakt.
Laut Farke können viele Abhängige sich das exzessive Surfen auchaus eigener Kraft abgewöhnen. Dabei hilft Software, die den Zugriffauf bestimmte Webseiten verhindert. «Auch vertraute Personen könneneine Kontrollfunktion übernehmen.» Weitere Unterstützung gebe es inSelbsthilfegruppen. Sinnvoll könne es auch sein, online einAusstiegs-Tagebuch zu führen. Elvira Lorenzen empfiehlt eineeinfache, aber vielleicht umso wirksamere Methode: den Rechner aneinen ungemütlichen Ort zu stellen, zum Beispiel in den Keller.