Houdon-Schau im Liebieghaus
Frankfurt/Main/dpa. - Mensch Mädchen, zieh dir etwas an! Dieser Gedanke drängt sich einem bei der Betrachtung der Frauenstatue «Die Fröstelnde» auf.
Die «Winter»-Jahreszeitenpersonifikation des großen Aufklärungs-Bildhauers Jean-Antoine Houdon (1741-1828) ist nur mit einem Tuch um Kopf und Oberkörper bekleidet. Dessen einer Zipfel überdeckt eben den Schambereich. Wegen ihrer «Art von Nacktheit» wurde die Figur 1785 als anstößig wahrgenommen. Heute gilt sie als exemplarisch dafür, wie Houdon eine neue Sinnlichkeit in der Bildhauerei schuf. Und eine neue Ebene des Einfühlens für den Betrachter. Der Anblick der gebeugten jungen Frau bringt einen zum Frösteln.
Der bronzene «Winter» (1787) ist Ausgangspunkt der Schau «Jean-Antoine Houdon: Die sinnliche Skulptur», der sich das Frankfurter Liebieghaus zu seinem 100-jährigen Bestehen widmet. «Museen sind ein Produkt der Aufklärung, und Houdon ist einer der ganz wesentlichen Bildhauer aller Zeiten», begründete Museumsdirektor Max Hollein die Themenwahl zur Jubiläumsschau. Bis zum 28. Februar werden 40 Exponate - darunter 19 Skulpturen Houdons - gezeigt, der Rest von wichtigen Zeitgenossen wie Jean-Baptiste Pigalle, Augustin Pajou oder Jean-Jacques Caffiéri.
Houdon sei der beste Bildhauer der Welt, schrieb der spätere dritte US-Präsident Thomas Jefferson einmal einem seiner Amtsvorgänger George Washington. Houdon schuf Bildnisse von amerikanischen und französischen Aufklärern wie Voltaire, Denis Diderot oder Benjamin Franklin, aber auch Herrschern wie Katharina II., Ludwig XVI. und Napoleon I. Er erfasste seine Modelle in ihren feinsten Zügen und interpretierte sie in unterschiedlichsten Materialien wie Marmor, Terrakotta, Bronze oder Gips. «Ich kann sagen, dass ich mich nur zwei Dingen wirklich hingegeben habe, die mein ganzes Leben erfüllten: der Anatomie und dem Guss von Statuen», formulierte Houdon im Jahr 1794.
«Die Aufklärer haben in Houdon einen Künstler gesehen, der in seiner Kunst die Ideale der Aufklärung vorantrieb», erklärte Kuratorin Maraike Bückling. Bildende Künstler wie Houdon hätten sich von ihren ehemaligen Auftraggebern, dem Hof und der Kirche, ab- und dem Publikum etwa von Salon-Ausstellungen zugewandt. «Neue Formen für alte Motive» habe Houdon gefunden, die «kein Hintergrundwissen» verlangten, so mit ikonographischen Beigaben in den Skulpturen.
Houdons zweite Jahreszeiten-Personifikation, eine marmorne Frauen- Statue mit dem Titel «Der Sommer», spielt laut Bückling noch mit dem Geist des Barocks. Sie ist überladen - so mit Weinblättern, Früchten, einem Tamburin, Blüten, Sichel und Ähre sowie einer Gießkanne. Dies verwirre gleichzeitig. Die Statue könnte auch dem Frühling oder Herbst zugeordnet werden. Der «Winter» hat dagegen in seiner Marmor- Variante (1783) nur eine durch Kälte zerbrochene Vase bei sich, in Bronze gar keine Beigabe. Umso zugänglicher und sinnlicher wird die Skulptur.
39 der 40 Exponate sind Leihgaben, auch aus dem Pariser Louvre. Die zentralen Werke, «Der Sommer» und «Der Winter» aus Marmor, stehen sonst im Musée Fabre in Montpellier. Mit dem Haus wurde eine Kooperation vereinbart. Die Schau wandert anschließend dorthin.