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Hans Werner Kettenbach Hans Werner Kettenbach: Im Leben trifft man sich zwei mal

Von Peter Godazgar 20.03.2002, 10:17

Halle/MZ. - Große Politik, heißt es, funktionieregenau so, wie Klein-Fritzchen sich das vorstelle.Die Langversion dieses Satzes bietet HansWerner Kettenbach in seinem neuen Roman "Die Konkurrentin". Auf mehr als 500 Seiten entwirfter ein Sittengemälde deutscher Kommunalpolitik -aber längst nicht nur das.

Lene Auweiler - attraktive Mittfünfzigerinund beliebte Bürgermeisterin einer rheinischenGroßstadt - will Oberbürgermeisterin "derSchwarzen" werden und den Amtsinhaber "derRoten" ablösen. Leider gibt es in ihrer Vergangenheitein paar wunde Punkte, und zudem einige schwierigeVerwandte. Schwester Edda nämlich trinkt nichtnur gerne etwas zu viel, sondern hat vor Jahrund Tag mit ihrem US-amerikanischen Loverin Übersee eine Tankstelle ausgeraubt. Esdauert auch nicht lange, da gibt ein Boulevardblatteinen ersten Warnschuss ab - in Form einessüffigen Berichts über den gemeinsamen Sohnder Auweilers, der als Chefbühnenbildner imOsten lebt, aber leider nach einem Streitmit seinem Lebensgefährten eine kostbare Louis-Seize-Kommodeund diverse andere Einrichtungsgegenständeaus dem Fenster und auf die Straße gepfefferthat. Tolle Geschichte, das - da freuen sichnicht nur die Leser, da freut sich vor allemLene Auweilers parteiinterner Konkurrent,der schmierige Günter "Günni" Nelles. Denwiederum hat Lenes Mann, als er noch praktizierenderArzt war, kennen lernen müssen, nachdem sichNelles an einer Prostituierten vergriffenhatte, für beide Beteiligten mit schmerzhaftenFolgen. Ja, jeder hat die eine oder andereLeiche im Keller liegen, nicht nur Nelles,sondern auch Lene Auweiler und auch ihr Mann,und das ist gefährlich, denn bekanntlich trifftman sich im Leben immer zwei mal. Natürlichwill Raimund Auweiler, der Arzt im Ruhestand,aus dessen Perspektive die Geschichte geschriebenist, nicht bloß zugucken, denn zwar ist dieerotische Zuneigung zu seiner Frau vor Jahrenerloschen, aber er will doch trotzdem nurihr Bestes.

Man darf, wie gesagt, Kettenbachs Buch durchausals Polit-Satire lesen, als Bestandsaufnahmedeutscher Zustände, als überaus vergnüglicheund exakte Gesellschaftssatire gar, mit feinenBeschreibungen und Beobachtungen; und schreibenkann Kettenbach - ehemals stellvertretenderChefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers -ebenso elegant wie hintergründig, ebenso ironischwie warmherzig. So ist er ein hochmoralischerAutor, der aber nie Gefahr läuft, ins Pathosabzurutschen.

Man kann die Geschichte aber auch lesen alsmelancholisches Porträt eines alternden undeinsamen Mannes. Man folgt Auweiler mit großemVergnügen, vor allem aber mit viel Sympathie,denn das ist eine der großen Stärken Kettenbachs:den Menschen mit seinen Verfehlungen zu zeichnen,die ja meist nur Ausdruck der Suche nach demkleinen Glück sind. So mäandert die Geschichtevor sich hin. Auweiler macht sich Gedankenüber die Zukunft seiner Frau und den Zustandder Gesellschaft. Das Ergebnis mag man dannzwar fast schon banal nennen: "Es nützte offenbargar nichts, über das nachzudenken, was passierenkonnte und passieren würde", sagt Auweileram Ende. Mag sein, aber amüsant ist es trotzdem.

Hans Werner Kettenbach: Die Konkurrentin, Diogenes Verlag, Zürich, 528 Seiten, 22,90 Euro.