Handball Handball: Irgendwie durchbeißen
Nis/mz. - Michael Haaß sah das Grauen noch einmal von seinem Hotelzimmer-Bett aus. Der Spielmacher der deutschen Handball-Nationalmannschaft und sein Zimmerpartner Patrick Groetzki blieben am späten Sonntag beim Zappen durch das serbische Fernsehen bei einem Handballspiel hängen, in dem sie Stunden zuvor selbst noch Hauptakteure gewesen waren. Sie beobachteten sich und ihre Kollegen, wie sie den EM-Auftakt gegen Tschechien (24:27) vermasselten.
"Ich musste manchmal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen", sagte Haaß am Montagmorgen mit zarten Rändern unter den Augen: "Ich konnte nicht glauben, was wir da für Fehler gemacht haben. Das können wir doch besser."
Die Nacht war kurz gewesen für die deutsche Auswahl. Auf nahezu allen Zimmern liefen die Fernseher, Bundestrainer Martin Heuberger zog es vor, den Auftritt mit Hilfe einer DVD in seine erschreckenden Einzelteile zu zerlegen. "Wir haben zu Beginn viele Chancen liegen lassen, da war die Verunsicherung schnell da", sagte Heuberger. "Wir waren danach gehemmt." Das Problem der DHB-Auswahl ist, dass sie ihr Potenzial nicht aufs Parkett bringen kann. Sie kann mit dem Erwartungsdruck, der auf ihr lastet, nicht umgehen. Vor dem zweiten Gruppenspiel am Dienstag gegen Mazedonien ist dieser Druck noch größer. Denn: Verliert das deutsche Team und gewinnt im Anschluss Schweden gegen Tschechien, hat es keine Chance mehr auf die Teilnahme an der Hauptrunde. Auch Olympia in London wäre unerreichbar. "Wir haben nun gegen Mazedonien eine Situation, die wir nicht wollten", klagt DHB-Vizepräsident Horst Bredemeier. "Wir müssen dem Druck standhalten, sonst, das muss man ganz ehrlich sagen, hat man nichts bei einer EM verloren."
Das Prinzip Hoffnung
Nüchtern betrachtet muss die deutsche Mannschaft die Partie am Dienstag fürchten. Im Vergleich zum Tschechien-Spiel sind gegen Mazedonien zusätzlich 4 000 fanatische Anhänger in der Halle. Doch trotz dieser trüben Aussichten soll alles besser werden. "Wir müssen nur die Tore machen", sagt Kapitän Pascal Hens. "Einfach mal positiv denken", empfiehlt Haaß.
Das alles klingt sehr nach Prinzip Hoffnung. Die deutschen Spieler scheinen selbst nicht so genau zu wissen, wo sie ansetzen sollen. Spielmacher Haaß, gegen Tschechien noch einer der Besseren, glaubt, einen substanziellen Ansatz gefunden zu haben. Er sagt: "In Phasen, in denen es nicht läuft, dürfen wir nicht immer anfangen zu zweifeln." Was schlicht heißt: Das Selbstvertrauen fehlt.
Zu Beginn einer EM erscheint das äußerst problematisch. Das Vertrauen in die eigene Leistung lässt sich nicht trainieren, es helfen eigentlich nur Siege. Unter Bundestrainer Heuberger hat die Nationalmannschaft aber nur eines von sechs Spielen gewonnen.
Diese grausige Bilanz hängt auch damit zusammen, dass im Team die Abstimmung fehlt. In Drucksituationen reagiert es nicht wie es sollte, wie ein Uhrwerk nämlich, sondern wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Da passierte es gegen Tschechien nicht nur einmal, dass dem Mitspieler Pässe auf Kniehöhe entgegen gefeuert wurden. Die Mannschaft ist nicht eingespielt, "genau das, wovor ich immer gewarnt habe", klagt Hens.
Generationswechsel verbockt
Die deutsche Auswahl leidet darunter, dass sie nach dem Umbruch vor drei Jahren keine neue, erfolgreiche Generation hat aufbauen können. Beim DHB wird indes betont, dass man gute Einzelspieler habe, die in ihren Klubs auf hohem Niveau agieren. Der Verdacht aber liegt nahe, dass diese Individualisten nicht als Team funktionieren. Und die vermeintlichen Führungsspieler, die in schwierigen Momenten eine Begegnung an sich reißen könnten, haben im Moment mehr mit sich selbst zu tun. Holger Glandorf zum Beispiel, der zwei Tore gegen Tschechien erzielte, oder auch Hens, dem kein einziger Treffer gelang. "Hens wirkte wie ein Fremdkörper", kritisierte der ehemalige Nationalspieler Daniel Stephan den deutschen Kapitän nach der Niederlage gegen Tschechien.
Das Motto für das entscheidende Spiel gegen Mazedonien umschreibt Abwehrchef Oliver Roggisch so: wach sein, von der ersten Minute an! "Wir dürfen nicht schon wieder gleich hoch in Rückstand geraten, sondern müssen mal vorn liegen", sagt er. "Dann spielen wir auch anderen Handball, selbstbewusst, aus einer positiven Stimmung heraus."
Nach der Enttäuschung gegen Tschechien wird es für die deutsche Mannschaft eine große Aufgabe sein, sich 4 000 Mazedoniern entgegenzustemmen. Eine Aufgabe aber, die auch Chancen bietet, an der das Team als Einheit wachsen kann. "Spätestens jetzt", sagt Torwart Silvio Heinevetter, "ist diese EM ein Charaktertest."
Die ARD überträgt das Spiel gegen Mazedonien um 18.15 Uhr live.