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Gräber: «Hoffnungszeichen» statt Einheitsgrau

Von Nicole Grün 13.11.2008, 11:18

Windberg/dpa. - Sogar der Tod ist in Deutschland strengstens reguliert. Bestattungsgesetze und Friedhofsatzungen schreiben oft bis ins kleinste Detail vor, wie Beisetzungen abzulaufen haben und Grabstätten beschaffen sein müssen.

Kein Wunder, dass die meisten Friedhöfe aussehen wie düstere Einheitswüsten aus Marmor und Granit. Doch Willi Poiger bringt Farbe in das triste Grau. Der 43-jährige Glasermeister aus dem niederbayerischen Klosterdorf Windberg stellt Grabmale aus Glas her - «Hoffnungszeichen», wie er sie nennt. In ganz Deutschland und Österreich sind seine Unikate verteilt.

Angefangen hat alles mit dem Tod seines Vaters, Willi Poiger senior. «Er hat Glas gelebt», sagt der Sohn. «Mit einem Stein auf seinem Grab hätten wir nichts anfangen können.» Für ihn hat er 1996 sein erstes Glaskreuz entworfen, das nun als lichter blau-gelber Farbklecks zwischen den grauen Steingräbern auf dem Windberger Friedhof steht. Immer wieder fragten andere Hinterbliebene nach dem Glaskreuz, doch erst nach langem Zögern entschloss sich der Glaser, auch für sie «Hoffnungszeichen» aus Sicherheitsglas herzustellen. Mehrere Scheiben klebt er dafür hintereinander, in den Klebstoff werden dabei die Pigmente gemischt, die das Glas in allen Farben erstrahlen lassen. Diese Technik hat sich Poiger mittlerweile beim Europäischen Patentamt schützen lassen.

Mit seinen bunten Grabmalen will Poiger an das Leben erinnern, nicht an den Tod. So bekommt ein leidenschaftlicher Bergsteiger die gläserne Gebirgslandschaft seines Lieblingsmassivs auf sein Grab und eine Großmutter eine farbenprächtige Blumenwiese, die ihre Enkelin für sie gemalt hat. Auf dem hellblauen Grabmal eines elfjährigen Unfallopfers prangen Regenbogen, Sterne und fröhliche Smileys. Diese lustigen gelben Gesichter hat der Junge geliebt, und so ziert sein Geburtsdatum ein lachender Smiley, das Todesdatum ein trauriger. Bei aller Tragik haben die Symbole etwas Humorvolles an sich. «Ich möchte ein Lächeln auf die Gesichter zaubern an einem Ort, an dem man es nicht erwartet», sagt Poiger.

Mit seiner Arbeit stemmt er sich gegen einen Trend, denn immer mehr Menschen lassen sich anonym bestatten. Der Anteil anonymer Beisetzungen liege in Deutschland insgesamt bei rund neun Prozent, in Großstädten wie Berlin oder Hamburg seien es fast 50 Prozent, sagt Kerstin Gernig vom Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB). Für Poiger eine schlimme Entwicklung: «Ganz egal, was die Leute sagen: Ein Trauerort ist wichtig.» Ein Stück Trauerarbeit leistet der Glaser, der auch als Seelsorger eine gute Karriere gemacht hätte, schon beim Entwerfen der Grabmale und in den Gesprächen mit seinen Kunden.

«Eine Krücke zurück ins Leben» will er ihnen mit seinen gläsernen Grabmalen bauen. Das gelingt dem gläubigen Christen immer wieder. Gerne erinnert er sich an eine Familie, die ihren 18-jährigen Sohn durch einen Unfall verloren hatte und zu ihm in die Glaserei kam. Dort hätten sie dann Erinnerungen über ihren Sohn ausgetauscht, Entwürfe für das Grabmal gemalt und nach drei Stunden seien sie lächelnd aus der Tür gegangen. Das sind Erfolgserlebnisse, die es aufwiegen, dass Poiger von manchen abschätzig als «Friedhofsglaser» bezeichnet wird. «Der Mensch ist mir wichtiger als Geldschaufeln; die Begräbnisindustrie geht oft andere Wege», sagt er.

In der Tat: So wirbt ein Schweizer Unternehmen damit, die Asche von Verstorbenen zu Diamanten zu pressen, die man in Ringe oder Halsketten fassen kann - «diamonds are forever». Etwas weniger mondän ist die «Edelsteinbestattung», bei der ein Edelstein nach Wahl «mit der Kremationsasche in Verbindung gebracht und energetisiert wird», wie es auf der Internetseite eines Anbieters heißt. In Köln steht das erste digitale Grabmal Deutschlands. Auf einem Monitor können ganze Filme oder Diashows mit Fotos des Verstorbenen gezeigt werden. Die Show muss schließlich weitergehen, auch nach dem Tod.

Dabei sind der Kreativität der Bestatter doch meist enge Grenzen gezogen. Oft seien viele Gespräche nötig, um die zuständigen Beamten oder Kirchenvertreter von seinen bunten Gräbern zu überzeugen, erzählt Poiger. Das kann auch Kerstin Gernig vom BDB bestätigen: «Die Friedhofsatzungen sind teilweise noch voll anachronistisch».

Im 19. Jahrhundert habe man versucht, so den Leichenpomp einzudämmen. «Heute sind aber anonyme Gräber unser Problem und nicht die Abmessungen von Grabstätten», sagt sie und fordert mehr Freiheit für die individuelle Grabmalgestaltung. Willi Poiger will erreichen, dass sich Friedhöfe «von Trauerorten zu Hoffnungsorten» wandeln. Doch dafür müssten mehr Friedhöfe Farbe bekennen.