Freestyle-Motocross Freestyle-Motocross: Fliegende Feuerstühle in Leipzig
Halle/MZ. - Dann geht alles ganz schnell: Das Motorrad schießt senkrecht in die Luft, das Vorderrad ist erst über dem Kopf des Fahrers, dann hinter ihm, dann wieder unter ihm. Sekundenbruchteile nur dauert der "Backflip", den Busty Wolter gerade geflogen ist. Der Boden kommt näher. Die Federbeine der Suzuki atmen tief durch, dann rollt der "Airwastl" genannte Star der deutschen Motocross-Freestyle-Szene gelassen aus.
Sven Machas Augen leuchten bei solchen Szenen, und sie leuchten oft in diesen Tagen. Seit gestern schon trainieren drei Dutzend der bekanntesten Profi-Fahrer aus dem internationalen FMX-Lager in der Halle 1 der Leipziger Messe, um sich auf das Freestyle-Gipfeltreffen "Kings of Xtreme" heute und morgen vorzubereiten. Ein Dröhnen ist in der Luft, es riecht nach Schmierfett und Öl, nach Abgasdämpfen und Sprit.
Ein Duft wie Parfüm für Sven Macha, der mittendrin steht und genießt. Bis vor wenigen Jahren gehörte der Hallenser selbst zu den besten deutschen Amateuren im PS-Zirkus der schwerelosen Feuerstühle. Jetzt hat er die tollkühnen Männer auf ihren fliegenden Kisten nach Mitteldeutschland geholt. "Es ist ein Traum", sagt der 38-Jährige, der die meisten Fahrer kennt, seit er bei internationalen Wettbewerben als "Judge" auf der Schiedsrichterbank sitzt. Die finden seit mehr als zehn Jahren überall auf der Welt statt, nur nicht bei Macha zu Hause. "Dabei weiß ich, dass es hier eine Menge Fans gibt." Anfangs habe er deshalb einfach nur mal ein kleines FMX-Event in einer halleschen Halle veranstalten wollen, sagt er. Aber Sascha Sachse, Chef der Konzertagentur Känguruh, dem er von der Idee erzählte, war dann gleich der Ansicht: "Entweder ganz groß oder gar nicht."
Gerade vier Monaten ist das her und schon fast nicht mehr wahr. Innerhalb kurzer Zeit hat sich das "Kings Of Xtreme" genannte Festival der Zweirad-Akrobaten zum Gipfeltreffen der Weltelite entwickelt. "Inzwischen haben wir wirklich die gesamte Weltspitze zusammenbekommen", freut sich Macha, der die Verbindung zu den Stars herstellte. Es ist da, was Rang und Namen hat im Kampf PS gegen Schwerkraft: Mit Remi Bizouard kommt der Weltranglistenerste aus Frankreich, mit Brice Izzo aus Italien auch der amtierende Dritte. Hugo Arriazu Sanchez aus Spanien fliegt auf bulligen Quads durch die Luft, Tomas Barta aus Tschechien benutzt ein Mini-Motorrad und Stian Pedersen aus Norwegen schafft den Backflip sogar auf einem Schneemobil. Meistens zumindest. "Wenn ich das sehe", sagt Macha, "wird selbst mir schummrig."
Dabei hat der Hallenser in drei Jahrzehnten auf dem Motorradsattel schon so ziemlich alles gesehen, erlebt, gebrochen und ausgekugelt. Mit acht Jahren fährt Macha seine ersten illegalen Runden durch den halleschen Stadtteil Reideburg, damals noch auf einer Simson "Huppdich" SR 1. Später folgt eine Jawa Mustang, mit 14 dann das erste Motocross-Rennen. Nach dem Mauerfall geht alles Geld für die erste richtige Maschine drauf. Macha, Sohn eines Hobby-Motocrossers, hat Geschwindigkeit in den Genen. Er fährt um Titel. Aber eigentlich fährt er aus Spaß.
Bis er das Freestyle-Fliegen entdeckt: Bei einer Crossveranstaltung Mitte der 90er sieht der Motocrosser vom MSV Dieskau den Amerikaner Mike Jones und den Spanier Edgar Torentera, die nicht nur mit dem Motorrad durch die Luft fliegen, sondern unterwegs auch noch "einen Fuß ganz lässig über den Lenker legten". Sven Macha ist hin und weg.
Mit ein paar Gleichgesinnten baut er sich eine eigene Sprungrampe, gemeinsam üben sie als "Dairbcrew" atemberaubende Flugmanöver wie Double Seatgrab oder Cliffhanger. Es gibt blaue Flecke und Schotterflechte. Aber Motocross wird zur Nebensache, denn Fliegen ist schöner. "Die Leute meinten nach meinen Rennen alle, du bist zwar nicht vorn gefahren, aber am schönsten gesprungen."
Zehn Jahre und 16 ausgekugelte Arme später weiß Sven Macha so ganz genau, wie die Choreografie einer FMX-Show aussehen muss. "Es ist wie in einem Musical", beschreibt er, "wir haben die Fahrer, wir haben Pyrotechnik, wir haben Kulissen, Musik und Mädchen - und alles packen wir in ein Drehbuch, das die Leute hoffentlich von den Sitzen reißen wird."
Der Mann ist mit seiner Agentur Safitar nicht nur Mitveranstalter, er ist immer noch ein glühender Fan. Sven Macha redet sich in Begeisterung, wenn er beschreibt, wie welcher Fahrer bei welchem Trick die Gesetze der Physik überlistet. Höher, schneller, weiter, noch einen Überschlag mehr und einen Moment länger im freien Fall. Grenzen gibt es beim FMX keine mehr. Immer wieder tauchten neue, unbekannte Namen auf, beobachtet der Experte, "die jahrelang hinterm Haus irgendetwas völlig Verrücktes geübt haben". Einen Backflip etwa, bei dem ein Gast mitfliegen darf. Oder einen doppelten Backflip. Oder einen Backflip auf einer riesigen Harley Davidson. Oder eben einen auf einem 300 Kilo schweren Schneemobil.
Wochenlang hat Sven Macha mit Sascha Sachse und Christian Lies von Känguruh Productions über dem Streckenplan für die PS-Premiere gebrütet. "Wir wollten den Parcour so schneiden, dass alle ideale Bedingungen vorfinden." Immer wieder wurden die Fahrer nach ihren Wünschen befragt und Änderungen eingearbeitet. Seit Mittwoch fuhren dann 180 Lastwagen rund 3 600 Tonnen Erde in die riesige Messehalle, aus denen auf einer Fläche von 70 mal 40 Metern sieben FMX-Startrampen und drei Landezonen, BMX-Flächen, ein Stuntparcour und Platz für die Vorführungen der Mini-Biker planiert wurden. Ein Großprojekt, das immer wieder neue Hürden überwinden muss. "Die Spezialrampen für den Schneemobilflieger mussten wir extra aus Prag heranholen."
"Sowas hat es in Deutschland noch nicht gegeben", glaubt auch Sebastian "Busty" Wolter, einer der FMX-Pioniere in Deutschland und seit zehn Jahren einer der Stars der Szene. Normalerweise träfen sich die Fahrer nur zu Wettkämpfen, dort aber könne jeder immer nur eine kleine Facette von dem vorführen, was er draufhabe. Dort geht es um den Sieg, an dem inzwischen stets stattliche Preisgelder hängen. Hier um den Spaß am Fliegen. "Bei Kings Of Xtreme dagegen werden wir alles zeigen, was in eine Halle passt."
Statt die Piloten gegen- und nacheinander fahren zu lassen, hat Macha gemeinsame Auftritte geplant. "Die Fahrer werden zusammenarbeiten , das Publikum wird minutenlang nicht wissen, wo es zuerst hinschauen soll", verspricht er ein "Sensationsfeuerwerk" auf einer Piste, die für alle Piloten eine Herausforderung sein wird. Sven Macha weiß, wovon er spricht: Noch vor dem ersten Weltstar ist er die Strecke testgefahren - inklusive aller Sprungrampen.