Fahrender Filmvorführer Fahrender Filmvorführer: Professor Flimmrich

Sieglitz - Der Tisch zum Rollen ist auch selbstgebaut. „Da packste du hier eine Rolle drauf“, zeigt Helmut Göldner, „und dann wickelt sich das hierrüber.“ Bisschen Staub ist jetzt schond rauf, das ist klar, das breitgebaute Teil steht schon eine Weile unbenutzt herum. Kino hat sich gewandelt, wiedermal. „Das ist ist jetzt alles elektronisch“, sagt Göldner, und es klingt ein klein wenig abfällig.
Keine Filmrollen mehr. Keine Abholfahrten ins Filmlager nach Leipzig. Keine Mahnbriefe vom Verleih, dass irgendeine Rolle dringend zurück muss. Das Kino heute ist irgendwas mit Cloud und festplatte, Blu-Ray und 10 000-Lumen-Projektor. Aber immerhin: Helmut Göldner ist immer noch dabei, mitten im Spiel und auf der Straße. Seit 57 Jahren macht der kleine Mann aus Sieglitz bei Könnern das schon: Herumfahren und die große Kinowelt in die kleinen Dörfer und Städte bringen. Knapp eine Million Kilometer stehen auf dem Tacho seines alten VW-Busses. Göldner, gelernter Mechaniker, traut dem Begleiter seiner Reisen noch viel mehr.
„Ein paar Jahre muss er schon noch“, grient er augenzwinkernd. Ohne Kino geht es nicht, nicht für das Publikum draußen im Land. Aber auch nicht für Kinomann Göldner, dem die „filmische Betreuung der Landbevölkerung“, wie es früher offiziell hieß, längst eine Lebensaufgabe geworden ist.
Inspiration von früher
Und das ganz zufällig. „Wir haben uns als Jungs früher immer um den Filmmann rumgedrückt, wenn der ins Dorf kam“, erinnert sich der 73-Jährige. Eines Tages erschien der Landfilmmann nicht, weil er einen Unfall hatte. „Aber die Rollen waren schon geliefert worden und die Filmmaschine stand ja immer da.“ Kurzentschlossen kramt der technisch beschlagene 15-Jährige zusammen, was er beim Profi gesehen hat, und bedient das herbeigeeilte Publikum pünktlich mit dem angekündigten Film. „Als dann einer von der Filmstelle kam und die Vorführung absagen wollte, hat der Kneiper den nur verwundert angeguckt - wieso, läuft doch schon?“
Helmut Göldner, ein kompakt gebauter Mann mit kurzen, geschickten Fingern, darf dann öfter mal Vertretung machen. „Und als ich mir dann zum ersten Mal Geld holen durfte, machte es gleich noch mehr Spaß.“ 340 Mark, in der DDR der 60er Jahre ist das ein halbes Monatsgehalt. „Ich konnte mir ein Motorrad kaufen und dann immer dort spielen, wo einer gebraucht wurde.“
„Spielen“ nennt es Göldner bis heute, wenn er im treuen T4 über Land fährt, den Ernemann-Projektor aus dem Jahr 1936 hinten fest eingebaut. „Ich brauche nur aufmachen, einrichten, los geht es.“ Die Zeiten sind härter geworden, die Saalmieten utopisch und Bürgermeisterfreuen sich nicht etwa immer, wenn mal was los ist im Dorf. Nee, Göldner winkt ab. „Die spielen Bürokratie und verlangen für Sachen Genehmigungsanträge, die ich schon seit Jahrzehnten mache.“ Dazu dann noch die Verleiher, die eifersüchtig wachen, dass der kleine Landfilmer die richtigen Leinwandhits nur ja nicht vor den großen Cineplexen zeigt. „Die kriegen ja feste Anteile pro Karte, da steht ein Mobiler wie ich hinten dran.“
„Titanic“ sieben Tage die Woche, drei Monate lang - und immer ausverkauft
Nee, Landfilmerei ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Aber es funktioniert immer noch. Wenn Helmut Göldner den Elsterglanz-Film spielt, „Ice Age“ oder „Willkommen bei den Hartmanns“, strömen die Leute herbei. Nicht mehr so wie damals, als Göldner „Titanic“ drei Monate lang sieben Tage die Woche am Stück vor ausverkauften Sälen spielte. Aber besser als die damals dachten, die den Landfilm nach dem Mauerfall für tot erklärten.
Helmut Göldner, als Kinomann zu DDR-Zeiten ein zentraler Knotenpunkt der sozialistischen Beziehungswirtschaft, in der es gegen entsprechende Gegenleistung alles gab, sah das anders. „Es haben ja alle festen Kinos in allen Städten zugemacht“, erklärt er, „aber irgendwo wollen die Leute Kino gucken.“
Göldner kaufte einen Projektor, als keiner die mehr haben wollte. Als sein Chef ihn anweist, fast neue Filmrollen aus dem Lager auf den Müll zu fahren, bringt er den kleinen Maulwurf und den Russen-Klassiker„Hase und Wolf“ lieber zu sich nach Haus in Sicherheit. Viel zu schade zum wegschmeißen, meint Helmut Göldner. Mit einer Reisegewerbekarte startet „Mobiles Kino Göldner“, im Gepäck nicht mehr Filme wie „Spartakus“ und „Geliebte weiße Maus“, sondern Hollywood-Hits und deutsche Erfolgsfilme wie „Keinohrhasen“.
Den politischen Auftrag nie ernstgenommen
Das war keine Befreiung vom politischen Auftrag, denn den hatte Helmut Göldner ohnehin nie ernstgenommen. „Wir kriegten Prämie, wenn wir sowjetische Filme spielten“, sagt er. Was also tun? Göldner hat gezeigt, was die Leute sehen woltlen. Und nach oben eben den Sowjetfilm gemeldet. Manchmal hat er sogar ganze Veranstaltungen erfunden. „Die Betriebe mussten Kultur abrechnen, aber die Leute wurden ja in der Produktion gebraucht.“
Da schaute der Betriebsdirektor dem Kinomann tief in die Augen. Dann fiel die Veranstaltung aus, die Eintrittskarten landeten im Papierkorb, wurden aber bezahlt. „Siehste“, sagt Göldner breit schmunzelnd, „die wollten doch belogen werden.“
Es war immer so. Bei der Armee hat ihn das Kinomachen gerettet, „da habe ich einen auf Schweijk gemacht“, gibt Helmut Göldner heute zu, wo er gemütlich auf der Couch im Wohnzimmer halb sitzt, halb liegt und zufrieden zurückschaut. Der begeisterte Bastler und Bauer, der schon ganze Traktoren aus Einzelteilen zusammengefummelt hat, hat in einem Abenteuerfilm mitgespielt wie „Zorro“, der Held in einem Film mit Alain Delon, den er als ersten nennt, wenn es Leinwandkunstwerke geht, die ihm selbst gefallen haben. „Das war noch Kino“, sagt Helmut Göldner, „35 Millimeter und richtige Geschichten.“
Kino machen ist in Sachsen-Anhalt Knochenarbeit
Sowas wie „Zorro“ oder den ersten Otto-Film, der zu DDR-Zeiten ein Knaller war, mit dem Göldner ganze Dörfer für Stunden menschenfrei gefegt hat, kann er heute kaum mehr anbieten. Im Geschäft, das Göldner selbst „ein teures Hobby“ nennt, sind die richtigen goldenen Zeiten vorbei.
Kostete die Eintrittskarte zu DDR-Zeiten 85 Pfennige, muss der Sieglitzer acht Euro nehmen, um über die Runden zu kommen. Das Autokino, das Göldner nach der Wende in Quellendorf bei Köthen betrieben hat, lief anfangs toll, aber dann kam der Euro. „Von einem Tag auf den anderen war alles vorbei.“
Helmut Göldner merkt draußen in den kleinen Städtchen bis heute, dass Sachsen-Anhalt kein reiches Land ist. Hier Kino machen, ist Knochenarbeit. „Die gucken alle auf die Mark“, sagt er. Und das, weil sie müssen, nicht weil sie wollen. Ganz genau wie Helmut Göldner, der letzte Landfilmer, der ohne sein Kino einfach nicht kann. (mz)