Eiskunstlauf-WM in Dortmund Eiskunstlauf-WM in Dortmund: Stefan Lindemann avanciert zum neuen Sprungstar

Dortmund/dpa. - «Ich habe mich so wohl gefühlt auf dem Eis, ich mochtees gar nicht verlassen», sagte der 1,62 Meter große Lindemann, dersonst das Rampenlicht scheut, am Donnerstagabend aber sogarWeltmeister Jewgeni Pluschenko die Show stahl.
Der minutiös für die Fernsehanstalten gestrickte Zeitplan kamdurcheinander, und der russische Publikumsliebling musste sichgedulden, ehe er als Letzter der hoch spannenden Herren-Konkurrenzauflaufen konnte. «Ich habe damit gerechnet, dass es reichen würde.Auf dem Fernseher habe ich alle Konkurrenten angeschaut, um den Druckauf mich noch etwas zu erhöhen. Sie waren stark, aber ich konnte esnoch toppen», bekannte Lindemann, über dessen Abgeklärtheit sogarseine Trainerin staunte. «Er war kalt wie Hundeschnauze, die Kür war der Wahnsinn», platzte es aus Ilona Schindler heraus.
«Die Westfalenhalle ist wie ein Virus», meinte ManfredSchnelldorfer, der an gleicher Stelle 1964 Weltmeister wurde. 21Jahre ist es her, dass Norbert Schramm Silber für Deutschland holte,danach brach eine lange Eiszeit an. Dass ausgerechnet der kleineLindemann diese brechen sollte, damit hatten vor den Welttitelkämpfennicht einmal Insider gerechnet. «Es wäre vermessen gewesen, davonüberhaupt zu träumen. Ich ziehe den Hut vor Stefan, der ein tollerKämpfer ist und sich seiner Möglichkeiten nun bewusst wird», sagteReinhard Mirmseker, Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU).
Vier Jahre ist es her, dass der Thüringer Junioren-Weltmeisterwurde und sich am Anfang einer großen Karriere glaubte. Doch danachging alles schief: Eine Sprungverletzung bei einem Sturz zumdreifachen Axel brachte ihn aus dem Tritt. Statt mit der Weltelitemitzuziehen, hatte er plötzlich Zweifel und Ängste. «Vor der Saisonwollte ich die Brocken hinschmeißen. Jetzt bin ich froh, dass ich esnicht getan habe», erzählt der immer freundliche, gar schüchterneAthlet. In den vergangenen zwei Jahren nominierte ihn die DEU nichteinmal für Weltmeisterschaften, so blass blieb er in Wettkämpfen. Inder Not stellte man ihm Erfolgstrainerin Jutta Müller zur Seite, dieihm die Eleganz beibringen sollte, und schickte ihn zu PluschenkosTrainer Alexej Mischin, der ihn eine neue Sprungtechnik lehrenwollte.
Irgendwann hatte Ilona Schindler genug und stellte die DEU vor dieWahl: Entweder ihr akzeptiert mein Konzept, oder wir hören auf.Gemeinsam mit ihrem Schüler ließ sie sich vom ukrainischen CoachWalentin Nikolajew beraten und optimierte mit den Biomechanikern vomLeipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT)Lindemanns Sprungrepertoire. «Ich ziehe den Hut vor ihr, denn sie hates geschafft, seinen Kopf frei zu kriegen. Das ist das größte Problemder deutschen Läufer, die immer an sich zweifeln», sagte Mirmseker.
Höchstes Lob kam am Ende eines langen Abends vom ChampionPluschenko, der dank einer faszinierenden Vorstellung trotz eineskleinen Sturzes beim Anlauf zum Rittberger zum dritten Mal Goldholte. «Er hat einen guten Job gemacht», sagte der St. Petersburger,der über eine Paillette auf dem Eis gestolpert war. Viermal dieHöchstnote 6,0 waren der Lohn für die außergewöhnliche Leistung des21-Jährigen.