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Ehemaliger KZ-Wachmann hörte Schreie aus der Gaskammer

25.10.2019, 13:47
Ein 93 Jahre alter ehemaliger Wachmann im KZ Stutthof wird im Landgericht in den Saal geschoben. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa/Archivbild
Ein 93 Jahre alter ehemaliger Wachmann im KZ Stutthof wird im Landgericht in den Saal geschoben. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa/Archivbild dpa

Hamburg - Während seiner Dienstzeit im KZ Stutthof bei Danzig hat der in Hamburg vor Gericht stehende ehemalige SS-Wachmann einmal beobachtet, wie Gefangene in die Gaskammer geführt wurden. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Anne Meier-Göring, was er genau vom Wachturm aus gesehen habe, sagte der Angeklagte am Freitag: „Dass da Leute reingeführt wurden, in die Gaskammer, dass die Tür verschlossen wurde.” Kurz danach habe er Schreie und Poltern gehört. „Ich wusste nicht, dass die da vergast wurden”, betonte der 93-Jährige. Es seien vielleicht 20 oder 30 Gefangene gewesen, die er gesehen habe. Sie hätten sich nicht gewehrt.

Die Anklage wirft ihm Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vor. Als SS-Wachmann soll er zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt” haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern.

Ob die Menschen, die in die Gaskammer geführt wurden, Männer oder Frauen waren, könne er nicht sagen, weil alle Gefangene kahlgeschoren gewesen seien, sagte der ehemalige Wachmann. Auch ob es Juden oder andere Häftlinge waren, wisse er nicht. Was danach geschehen sei, könne er auch nicht sagen. „Ich habe niemanden rauskommen sehen.”

Ein anderes Mal habe er ebenfalls eine Gruppe von Gefangenen beobachtet, die in die Gaskammer geführt wurden, aber wieder rauskamen. Sie seien einzeln von Leuten in weißen Kitteln in das Krematoriumsgebäude gebracht worden. Auch diese 10 oder 15 Männer seien ohne sich zu wehren mit dem Arzt oder Sanitäter mitgegangen. „Das habe ich beobachtet vom Wachturm”, sagte der Angeklagte. Es sei gesagt worden, die Häftlinge sollten zu einem Arbeitseinsatz außerhalb des Lagers gehen und müssten vorher untersucht werden.

Ein Sachverständiger des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen hatte in dem Prozess bereits erklärt, dass sich in einem Nebenraum des Krematoriums eine Genickschussanlage befand. Den Opfern sei vorgetäuscht worden, sie sollten gesundheitlich untersucht werden. Die Richterin fragte den Angeklagten deshalb, ob er die Gefangenen am Krematorium vielleicht nicht wiedergesehen habe, weil sie erschossen wurden. Das habe er damals nicht gewusst, antwortete der 93-Jährige.

Am Anfang der Befragung hatte der Angeklagte berichtet, wie er SS-Mann in Stutthof wurde. Nach einer mehrwöchigen militärischen Ausbildung in Stettin sei er zusammen mit rund 400 anderen Wehrmachtssoldaten Ende Juni oder Anfang Juli 1944 im Zug nach Stutthof gebracht worden. Er habe nicht gewusst, was dort für Menschen inhaftiert gewesen seien. Er habe nur „munkeln” gehört, dass es neben Strafgefangenen auch politsche Häftlinge und Juden seien.

Nach der Ankunft seien er und seine Kameraden nicht im Lager herumgeführt worden. Es habe auch keine Broschüre bekommen, sagte er auf entsprechende Fragen von Meier-Göring. Ihm sei nur gesagt worden, im Wachdienst müsse er aufpassen, dass Ruhe im Lager ist und sich niemand dem Stacheldraht nähert. Bereits am vorhergehenden Prozesstag hatte der 93-Jährige betont, dass er in seiner Zeit in Stutthof nie von seiner Waffe Gebrauch gemacht habe.

Etwa drei Wochen nach seiner Ankunft sei er mit Verdacht auf Diphtherie in ein Krankenhaus eingewiesen worden. Anfang August 1944 sei er vorzeitig aus dem Krankenhaus entlassen worden und ins KZ zurückgekehrt. Dort seien alle seine Wehrmachtskameraden bereits von der SS übernommen worden. Auch er habe seine feldgraue Jacke abgeben müssen und dafür eine mit SS-Abzeichen bekommen. „Da wurde nicht gefragt: Willst du das? Da wurde gesagt: Du musst!” Er habe nicht Mitglied der SS werden wollen, aber: „Mein Wille zählte eben nicht.” Zu dem Zeitpunkt war der Angeklagte noch 17 Jahre alt. (dpa/lno)