Dübener Heide Dübener Heide: Eine verbotene Liebe
Halle/MZ. - Was sich Simone Hönicke auch nicht entgehen lässt, wenn sie Besucher durch Schloss Reinharz führt.
Denen erzählt die zierliche Frau dann gerne von jener Tochter des gräflichen Schlossherrn, die heimlich einen Jäger liebte. Der standesbewusste Vater lauerte dem Pärchen auf, ließ den Jäger aus dem Schloss peitschen, die Tochter gar im Keller einmauern. Seither soll sie als "weiße Frau" gelegentlich das Schlossgespenst geben.
Die Herz-Schmerz-Story mit dem Gruseleffekt wird von der munteren Schlossführerin zwar ins Reich der Sage verwiesen. Was nicht ausschließt, dass sich damals wie heute Liebespaare im Reinharzer Schlosspark treffen. Der war im 18. Jahrhundert allerdings streng barock. In Reih und Glied Bäume und Büsche, schnurgerade Wege und Blickachsen. Verschwiegene Kuschelecken? Fehlanzeige!
Da wären die Blaublütlerin und ihr Jäger jetzt besser dran. Romantische Winkel finden sich in dem als Landschaftspark nach englischem Vorbild gestalteten Areal von fast sieben Hektar reichlich. Im Landesprojekt "Gartenträume" kann sich der Park Reinharz als einziger mit einem richtigen Wasserschloss schmücken. Die durchs Grün schimmernden Wasserflächen machen denn auch seinen besonderen Reiz aus. Vor der Kulisse mächtiger Bäume erstrecken sich sanft geschwungene Rasenflächen.
Meterhohe Rhododendren bilden mit ihren Blüten violett bestickte Mega-Iglus. Immer mal lädt eine Bank zum Innehalten. Romantik satt also in diesem Park, den die damalige Besitzerfamilie Hertwig im 19. Jahrhundert so umgestalten ließ - aus barocker Geometrie in locker inszenierte Landschaft. Die Hertwigs hatten das Anwesen 1837 von den Grafen von Löser erworben. Die Herrschaften brauchten Geld, wiewohl sie einst zu den reichsten Adelsfamilien zählten. Wie man sich rangmäßig fühlte, ist Gemälden in einem Saal zu entnehmen. Da präsentiert sich Reichsgraf Hans von Löser (1704 - 1763) im goldenen Prunkrahmen buchstäblich auf Augenhöhe mit Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen und König von Polen.
Der Vater von Hans war der Schloss-Erbauer Heinrich von Löser (1665 - 1705). Der astronomisch begabte Sohn baute Fernrohre, die heute zu den Sammlungen Dresdner Zwinger gehören, und ließ für seine Forschungen den Schlossturm auf fast 70 Meter erhöhen. Als Wahrzeichen überragt der bis heute Schloss und Park, die wieder zu alter Schönheit geführt werden, seit im Jahre 2000 ein wagemutiges Eigner-Trio aus Leipzig das Anwesen für 260 000 D-Mark ersteigerte. Seither sind hunderttausende Euro investiert worden. Eine europäische Förderinitiative und ein Förderverein unterstützen das Projekt. "Nach und nach, in kleinen Schritten", gehe man vor, wie Kostja Künzel, neben seinem Architektenkollegen Thomas Helms und dem Journalisten Oscar Tiefenthal einer der Eigentümer, versichert. Dabei haben die neuen Schlossherren schon allerhand geschafft, sind stolz auf "nachhaltige Investitionen" wie Bio-Klärwerk und Erdwärmeheizung. Außerdem ziehen Konzerte Besucher an, man kann hier heiraten, im Café Kuchen genießen oder im Gärtnerhaus Luxusurlaub zum Schnäppchenpreis machen. Und natürlich kann man bei Simone Hönickes Führungen hören, was das Schloss so erlebt hat: bei den Nazis als Sitz des so genannten Reichsnährstandes, nach 1945 u. a. als Waisenhaus, Genesungsheim und Kur-Abteilung des Eisenmoorbades Bad Schmiedeberg. In der DDR-Endzeit schließlich war es von der Stasi für die Internierung "feindlicher Kräfte" vorgesehen. "Dabei ist in den 70er Jahren auch schon restauriert worden", weiß die Schlossführerin und zeigt stolz einen Saal, der fast vollständig mit niederländischen Fliesen ausgekleidet ist. Rund 3 600 sollen es sein und keine der zierlich darauf gepinselten Szenen soll der anderen gleichen. "So etwas gibt es nicht mal in Sanssouci", behauptet Frau Hönicke. Hier trifft man auch auf das Bild mit dem Schäferstündchen. Da sieht die Grafentochter noch liebreizend aus. Kann aber gut sein, dass sie als Schlossgespenst "heute mal wieder die Nachtschicht hier übernimmt", scherzt Simone Hönicke. Wäre ja auch noch schöner, wenn so ein Märchenschloss nicht über passendes Personal verfügen würde!